Vorwärts zur Kandidatur

Wer die Berliner SPD in die Wahl 2021 führen soll, ist offen. Von Martin Kröger

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Coronakrise hat die Choreographie der Berliner SPD durcheinander geworfen. Dabei hatte sich die Führung der Partei in kleiner Runde erst zu Beginn dieses Jahres auf einen Stabwechsel an der Spitze geeinigt: Danach sollte der Noch-Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Michael Müller, auf einem Parteitag den Weg für eine Doppelspitze freimachen. Die bislang einzig aussichtsreichen Kandidaten, die im SPD-Landesverband die nötige Unterstützung der zahlreichen Arbeitsgemeinschaften und Abteilungen haben, sind die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh. Am 31. Oktober soll es soweit sein.

Intern, so ist zu hören, geht man davon aus, dass sich alle an die getroffene Verabredung halten. Diese sieht offenbar auch vor, dass nach der Vorsitzendenkür Franziska Giffey als Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 ins Rennen geht. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, so wird kolportiert, könnte dann bei der wahrscheinlich zeitgleich stattfindenden Bundestagswahl auf Platz 1 der Berliner Liste der SPD für den Bundestag kandidieren - der 55-Jährige ist noch nicht alt genug, um sich auf ein politisches Altenteil zurückziehen.

Doch Mitte März, als die Coronakrise mit dem Lockdown auch in Berlin durchschlug, hat die Stunde der Exekutive geschlagen; die Popularitätswerte der Bundeskanzlerin, aber auch vieler Ministerpräsidenten gehen durch die Decke. Auch für Michael Müller geht es seither aufwärts. Aus Kreisen der Koalition wird gelobt, dass der Regierende endlich seine Führungsrolle in der Koalition ausfülle - was sich viele in dem Dreierbündnis, das gerne bundesweites Vorbild wäre, schon früher gewünscht hätten. Die neue Popularität befeuert aber auch die Debatte, ob die Personaldeals in der SPD noch gelten. Will es Michael Müller doch noch einmal wissen? »Werden sie hinschmeißen, treten Sie noch mal an?«, fragte der ZDF-Moderator Markus Lanz Müller erst am Donnerstag in seiner Talkshow wieder. »Nein, es wird hier überhaupt nichts hingeschmissen, und es wird auch überhaupt nichts verkündet, sondern es bleibt dabei, was wir gesagt haben: Der Parteivorsitz wird übergeben und alles andere später entschieden«, sagte Müller feixend. Ihm macht das Kokettieren mit einer erneuten Spitzenkandidatur sichtlich Spaß.

Bei den designierten Nachfolgern an der Spitze der SPD wird bei dieser Frage dagegen weniger gelacht. »Wie wird denn die Performance des Regierenden in der Coronakrise wahrgenommen?«, will »nd« ebenfalls am Donnerstag bei einem Pressetermin im Lokal Neu-Helgoland an der Müggelspree in Köpenick von Giffey und Saleh wissen. Bevor Franziska Giffey sprechen kann, übernimmt Müllers alter Parteifreund Raed Saleh das Antworten: »Michael Müller macht eine gute Arbeit in der Krise.« Ganz vorne sieht der Fraktionsvorsitzende aber Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, die unter anderem mit der Absage der Internationalen Tourismus-Börse (ITB) notwendige Entscheidungen getroffen habe. »Insgesamt macht die SPD an der Stelle, wo wir Verantwortung tragen, einen guten Job«, betont Saleh auch mit Verweis auf das Agieren der Bundesfamilienministerin, die bei dem Ortstermin in Köpenick neben dem Fraktionsvorsitzenden sitzt.

»Guter Job«, das klingt irgendwie nach stets bemüht. Giffey, die für viele in der SPD eine Hoffnungsträgerin ist, äußert sich selber nicht zum Krisenmanagement des Senats. »Mir ist wichtig, dass ich für die Berliner SPD Verantwortung übernehme«, sagt sie mit Blick auf den Parteitag am 31. Oktober. Die Frage der Spitzenkandidatur lässt sie offen. Aber sie sagt: Die Berliner SPD soll wieder stärkste Kraft werden. »Dafür werde ich alles tun«, betont Giffey. Nach der Wahl zum Vorsitz werde man sehen, was dann kommt. 2021 sei eine sehr wichtige Wahl.

Doch natürlich geht es um mehr. Die ganzen Pressetermine vor Ort - zunächst im BMW-Werk Spandau vor Ausbruch der Krise, aber auch der Auftritt am Stadtrand beim Fischer und in der Gastronomie in Köpenick machen nur Sinn, wenn es darum geht, Franziska Giffey, die vielen Berliner noch aus ihrer Zeit als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln in Erinnerung ist, für die Spitzenkandidatur aufzubauen. In die Erfolgsspur zurückführen will Giffey die SPD mit einer Mischung aus wirtschaftsfreundlicher Politik für Unternehmen und den Mittelstand sowie Law and Order. »Die Menschen, die hier leben, wollen, dass es sicher bleibt«, sagt sie. Giffey glaubt, dass es sogar gelingen könnte, verlorenes politisches Vertrauen gerade an den Stadträndern zurückzugewinnen. »Der Osten des Landes fühlt sich vergessen«, sagt Giffey, die selber aus Brandenburg stammt.

Aber wenn Müller tatsächlich in den Bundestag wechseln sollte, und Giffey die Spitzenkandidatur übernimmt, welche Rolle bleibt dann für Saleh? Er würde mit dem Landesvorsitz und dem Fraktionsvorsitz zwei Machtzentren auf seine Person vereinigen. »Zwei Kapitäne, das ist schwierig«, sagt ein Fährmann bei dem Termin auf der Müggelspree, als sich Saleh und Giffey an den Rudern der kleinen Fähre versuchen.

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