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Rabiate Abschiebung

Rote Hilfe will Ermittlungen gegen Polizei erzwingen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Rote Hilfe München will mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erreichen, dass sich bayerische Gerichte mit den Vorgängen um die Abschiebung einer Familie nach Albanien im August 2017 beschäftigen. »Wir erhoffen uns, die fehlenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erzwingen zu können«, so die Aktivisten in einer Stellungnahme. Das Klageverfahren könne einen Präzedenzfall schaffen, dessen Ausgang ähnliche Verfahren beeinflussen würde. Bisher hätten alle bayerischen Gerichte aufklärende Ermittlungen wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung gegen die an der Abschiebung beteiligten Bundespolizisten, den von der Behörde eingesetzten Arzt und die Verantwortlichen des bayerischen Innenministeriums abgelehnt.

Frau L. war mit ihrer Familie 2015 aus Albanien nach Deutschland gekommen, als Fluchtursache nannte sie Blutrache. Die Familie mit drei Kindern war zwei Jahre in Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen untergebracht, die von Kritikern als »Abschiebelager« bezeichnet werden. In diese Einrichtungen wurden zunächst Geflüchtete aus den zu »sicheren Herkunftsländern« erklärten Westbalkanstaaten eingewiesen. Die Familie habe sich nach Angaben der Roten Hilfe öffentlich-politisch, formal und praktisch gegen Abschiebungen gewehrt und war bei der Besetzung des Regensburger Doms im Juli 2016 dabei. Kurz nach der Räumung des Doms wurde ihr Asylantrag abgewiesen.

Nach zwei erfolglosen Abschiebeversuchen wurden Frau L. und ihre Kinder am 1. August 2017 auf »erbarmungslose Art und Weise und unter Umgehung aller Schutzgebote«, so die Rote Hilfe, abgeschoben. Für den Vortag war die stationäre Aufnahme der psychisch schwer kranken Mutter geplant, die wegen Bettenmangels verschoben werden musste. Obwohl die Frau ein ärztliches Reiseunfähigkeitsattest vorlegen konnte, hätten die Beamten von einem »korrupten Flughafenarzt die Unterschrift erpresst«. Sie wurde mit Hand- und Fußfesseln abgeschoben und erlitt Blutergüsse.

2018 flohen die zwei älteren Geschwister aus Angst vor Blutrache allein erneut nach Deutschland. Sie wurden in einer Jugendhilfeeinrichtung in Bayern untergebracht. Die 13-jährige Schülerin berichtete, sie und ihr Bruder seien am 19. Juli 2019 im Stadtpark der niederbayerischen Stadt Osterhofen »rabiat« festgenommen worden. Obwohl die für das Kindeswohl verantwortlichen Staatsbediensteten bei Festnahme und Abschiebung anwesend waren, hätten sie weder im Vorfeld - wie es gesetzlich vorgeschrieben ist - noch im gesamten Verlauf mit den Kindern gesprochen und deren Rechte geschützt, so der Vorwurf der Roten Hilfe.

Nach der Festnahme seien die Kinder getrennt und zum Münchner Flughafen gefahren worden, ohne persönliche Dinge, Kleidung oder Geld mitnehmen zu können. Bis zum Abflug seien sie isoliert in Einzelzellen gewesen. In der albanischen Hauptstadt Tirana angekommen, hätten sich die Vormundin und ein Jugendamtsmitarbeiter an der Flugzeugtür verabschiedet. Die Jugendlichen seien weder einer geeigneten Jugendeinrichtung in Albanien noch den Sorgeberechtigten übergeben worden. Die Rote Hilfe ruft zu Spenden auf, um die Anwaltskosten für die Verfassungsbeschwerde aufzubringen.

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