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Soldaten gegen Corona und andere Feinde

Politiker forderten mehr Bundeswehreinsätze im Innern fürs Pandemiemanagement. Doch so einfach ist es nicht

Die Begehrlichkeiten waren groß: Viele Landespolitiker riefen in den vergangenen Monaten nach militärischer Unterstützung bei der Bewältigung der Coronakrise.

Die Linksfraktion im Bundestag wollte Mitte Mai von der Regierung wissen, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken die Bundeswehr während der Pandemie engagiert wurde. Die von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Gökay Akbulut und André Hahn eingereichte Kleine Anfrage wurde erst jetzt beantwortet. Allerdings gab das Verteidigungsministerium nur über bis zum 15. Mai gestellte Amtshilfeersuchen Auskunft.

In der Antwort, die »nd« vorliegt, heißt es, von 567 Anträgen auf Unterstützung durch die Armee seien 285 angenommen worden. 195 wurden demnach abgelehnt, 73 zurückgezogen und 17 sind noch in Bearbeitung. 106 Maßnahmen sind laut Regierung inzwischen abgeschlossen. Überwiegend ging es um Material- und Personalunterstützung im medizinischen Bereich.

In 17 Anträgen sollte die Truppe offenbar zu Maßnahmen ausrücken, die ihre Befugnisse überschritten hätten. Hier, schreibt die Regierung, sei es »nicht ausreichend sichergestellt« gewesen, »dass die beantragte Unterstützung ohne Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse« erfolgen könne.

Laut Artikel 35, Absatz 3 des Grundgesetzes darf das Heer nur bei Naturkatastrophen zur Unterstützung ziviler Behörden etwa im medizinischen Bereich zum Einsatz kommen. Der Einsatz der Truppe bei der Vollstreckung von Zwangsmaßnahmen gegenüber Zivilisten wie etwa die Bewachung von unter Quarantäne gestellten Personen, ist ausgeschlossen. Abgelehnt wurden deshalb beispielsweise Anträge von Landkreisen, den Zugang zu Klinikgeländen oder Teststationen zu sichern. So hatte die Stadt Halle, das geht aus einer Antwort auf eine frühere Linken-Anfrage hervor, im April Sanitätspersonal »mit Ausstattung zur Bewachung der Krankenhäuser« angefordert. Das wurde nicht bewilligt.

In der aktuellen Antwort werden gleich fünf Anträge aus baden-württembergischen Regierungspräsidien aufgelistet, in denen um personelle Unterstützung für die Inbetriebnahme bzw. »Sicherstellung des Dienstbetriebs« in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete gebeten wurde. Diese wurden später zurückgezogen, offenbar nach dem Hinweis aus dem Verteidigungsministerium, dass zur Antragstellung nur die Länder befugt seien. Denn für die gleichen Orte stellte später das Stuttgarter Innenministerium Anträge gleichen Inhalts. Allerdings wurden auch diese später zurückgezogen. Generell wurden Gesuche dieser Art abgelehnt.

Nach Einschätzung der Fragesteller hat sich die grün-schwarze Regierung von Baden-Württemberg besonders mit Bestrebungen hervorgetan, auch bewaffnete Einsätze der Bundeswehr im Inneren herbeizuführen.

Fragen der Linken nach möglichen Szenarien, etwa die, ob ein Militäreinsatz auch erlaubt werden würde, wenn zivile Wachschutzunternehmen ausfallen, wurden nicht beantwortet. Begründung: »Diese Fälle sind nicht eingetreten. Zu hypothetischen Fragen nimmt die Bundesregierung keine Stellung.«

Für Ulla Jelpke ist die große Nachfrage nach Amtshilfe aus den Ländern ein Beleg dafür, »wie kaputtgespart der zivile Sanitätsbereich ist«. Dass es so viele Anträge gab, sei umso bedenklicher, als es in der Bundesrepublik bislang nirgends zu einem Notstand gekommen ist. »Gar nicht auszudenken, wenn wir Situationen hätten, wie sie im März und April etwa in Italien herrschten«, warnt die Abgeordnete. Umso dringender sei ein Umsteuern im Gesundheitswesen: »Gesundheit darf nicht länger als Ware behandelt werden, Krankenhäuser sind nicht dazu da, Profite zu erwirtschaften«, mahnt Jelpke.

Die Linke-Politikerin konstatiert, es seien offenbar vor allem Politiker aus unionsregierten Ländern, die versuchen, »die alte Forderung nach Inlandseinsätzen der Bundeswehr durchzudrücken«. Hier ausgerechnet Flüchtlingsunterkünfte zum Testfeld machen zu wollen, zeuge davon, wie wenig Politiker wie Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) bereit seien, »Rücksicht auf schutzbedürftige und traumatisierte Menschen zu nehmen«.

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