- Politik
- Haushaltsdebatte
Haushaltswoche im Bundestag: Drohung mit der Zukunft
Vizekanzler spricht von einem »Warm-up« für die Etats ab 2027, Wirtschaftsministerin für Kürzung der Alterseinkünfte
Bevor Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche am Dienstag im Bundestag über die Aktivitäten der Regierung zum »Ankurbeln« der schwächelnden heimischen Wirtschaft sprach, schaute sie noch auf dem sogenannten Arbeitgebertag vorbei. Dort referierte sie erneut, was aus ihrer Sicht nötig wäre, um der seit zwei Jahren andauernden Rezession entgegenzutreten. Unter anderem sollten die Beschäftigten künftig noch später in Rente gehen als bisher, sagte Reiche auf der von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ausgerichteten Veranstaltung.
Im Jahr 2031 werden die ersten Neurentner mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Die Anhebung des regulären Renteneintrittsalters auf diese Zielmarke hatte die damalige schwarz-rote Koalition im Frühjahr 2007 auf den Weg gebracht. Nach 2031 soll der reguläre Rentenbeginn dann nach dem Willen von Reiche zügig noch weiter nach hinten verlagert werden, weil das System sonst angeblich nicht mehr finanzierbar wäre. Bereits vor zwei Wochen hatte Reiche »Deutschland« in einer Grundsatzrede auf »Einschnitte« eingeschworen.
Auf der Lobbyveranstaltung der Unternehmerverbände forderte Reiche, die »Frühverrentung« müsse unattraktiv gemacht werden. Tatsächlich können schon jetzt nur Menschen vorzeitig abschlagsfrei in den Ruhestand gehen, die mindestens 45 Versicherungsjahre vorzuweisen haben. Derzeit geht das ab einem Alter von 64 Jahren und sechs Monaten, die Grenze erhöht sich in den nächsten Jahren weiter auf 65 Jahre.
Die Wirtschaftsministerin fordert die Rente mit 70, Lockerungen beim Kündigungsschutz und Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
-
Die von Reiche und BDA-Präsident Rainer Dulger immer noch so genannte »Rente mit 63« gibt es also längst nicht mehr. Dulger forderte auf dem Arbeitgebertag erneut einen Stopp des von der Regierungskoalition geplanten Rentenpakets, das eine »Haltelinie« für das Rentenniveau bei den aktuellen 48 Prozent des Nettoeinkommens vorsieht. Auch er verlangt ein höheres Renteneintrittsalter.
Reiche sagte auf dem Arbeitgebertag und später auch im Bundestag, die Regierung setze eine ambitionierte »Reformagenda« um, mit Senkung der Energiekosten, »Entschlackung« des Sozialstaats, Bürokratieabbau und »Reformen« auf dem Arbeitsmarkt, um die Bereitschaft der Unternehmen zu Investitionen zu fördern. Ihre Forderungen nach Einschränkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Lockerungen beim Kündigungsschutz erneuerte die CDU-Politikerin derweil nur vor den Unternehmern, von denen sie dafür tosenden Applaus erntete. Im Parlament wurde sie dafür und für ihre Rentenvorschläge hingegen von der Linken scharf kritisiert.
Die Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner und ihre Fraktionskollegin Janine Wissler betonten, die Rente sei in einem hoch produktiven Land wie Deutschland finanzierbar. Es gebe mithin keineswegs einen »Generationenkonflikt«, wie von Reiche und den Unions-»Rebellen« von der Jungen Gruppe in der Fraktion von CDU und CSU behauptet. Vielmehr fehle es an Verteilungsgerechtigkeit. Zudem werde Finanzkriminalität nach wie vor nicht konsequent verfolgt, wodurch dem Staat jährlich 100 Milliarden Euro an Einnahmen entgingen. »Es ist nicht Alt gegen Jung, es ist Reich gegen Arm«, sagte Schwerdtner.
Darauf, dass »jede Woche Tausende Menschen ihren Job« und »ganze Regionen ihre Perspektive« verlieren, habe Reiche keine Antwort, so Schwerdtner. Eine »Rente mit 70« zu fordern, sei hingegen »zutiefst respektlos«.
Wissler betonte wiederum, wer Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen entlaste, stärke die Nachfrage und damit die Wirtschaft. Reiche hingegen mache nicht »das Land wieder fit«, sondern betätige sich als »Abrissbirne«. Mit Blick auf die Ablehnung des aktuellen Rentenpakets der Regierung durch die Junge Gruppe sagte Wissler: »Die Junge Union ist nicht der Anwalt der Jungen, sondern der Arbeitgeber, die sich aus der paritätischen Rentenfinanzierung verabschieden wollen.« Jungen Menschen böten Union wie SPD keine sichere Rente, sondern »befristete Arbeitsverträge, Wehrpflicht und Altersarmut«. Wissler weiter: »Wenn man Reiche besteuern will, ist das eine Neiddebatte, aber wenn man Bürgergeldbeziehern nicht mal sieben Euro am Tag für Nahrung gönnt, soll das gerecht sein.«
Mit Blick auf das von Reiche und der Jungen Gruppe angegriffene Rentenpaket der Regierung hat sich Die Linke indes noch nicht festgelegt, ob sie im Bundestag dafür stimmen wird. Den Gesetzesänderungen fehlt derzeit eine koalitionsinterne Mehrheit, da 18 junge Abgeordnete ihnen in der bisher vorgelegten Form nicht zustimmen wollen.
Während der Ko-Vorsitzende der Linken, Jan van Aken, die geplante Haltelinie beim Rentenniveau positiv bewertete, kritisiert die Linksfraktion zugleich andere Teile des Pakets. Van Aken hatte am Montag in Berlin gesagt, ohne die geplante Haltelinie von 48 Prozent würde das Rentenniveau noch weiter sinken.
Linksfraktionschefin Heidi Reichinnek sagte der »Rheinischen Post« am Montagabend, die Fraktion habe noch nicht entschieden, wie sie sich zum Rentenpaket verhalten werde. Das werde sie erst tun, wenn ihr der »finale Gesetzentwurf der Regierung« vorliege, was derzeit noch nicht der Fall sei. Reichinnek betonte zugleich, ihre Partei trete weiter für ein Rentenniveau von 53 Prozent des Nettolohns und für eine Rentenversicherung ein, »in die alle Erwerbstätigen einzahlen«.
Finanzminister Lars Klingbeil hatte den Bundestag zu Beginn der finalen Beratungen zum Etat 2026 auf schwierige Haushaltsverhandlungen für die kommenden Jahre eingestimmt. Die Etats für dieses und das kommende Jahr seien »ein Stück weit das Warm-up« für die »großen Herausforderungen«, die ab 2027 zu bewältigen seien, sagte der SPD-Chef. In den Planungen bis 2029 klaffen noch Milliardenlücken. Kritik am Etat für 2026 wies Klingbeil zurück: Zwar würden hohe Schulden gemacht, doch in erster Linie gehe es dabei um Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Landes.
2026 ist allein im Kernhaushalt eine Nettokreditaufnahme von 97 Milliarden Euro vorgesehen. Dazu kommen noch 85 Milliarden aus den Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutzinvestitionen sowie für die Bundeswehr. Der Etat 2026 soll am Freitag im Bundestag beschlossen werden. Am Dienstag segnete er bereits die Einzelpläne des Bundespräsidenten, des Bundestags und des Bundesrats (zusammen 1,4 Milliarden Euro) ab. Außerdem stimmten das Parlament dem 10,8 Milliarden Euro umfassenden Budget des Finanzministeriums und denen der Ressorts für Wirtschaft und Energie (5,9 Milliarden), Umwelt, Klima- und Naturschutz (2,8 Milliarden), Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (16,7 Milliarden) sowie für Digitales und Staatsmodernisierung (1,4 Milliarden) zu.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.