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Stuttgarter Namensstreit

Straßen und Einrichtungen sollen nicht mehr nach NS-Größen, sondern nach Antifaschisten benannt werden, fordert eine Gemeinde-Linksfraktion

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Normalerweise sorgen die Debatten des Gemeinderats von Bad Cannstatt für wenig öffentliche Resonanz. Doch nun hat ein Antrag schon im Vorfeld für bundesweite Aufregung gesorgt. Die Linksfraktion, die von Mitgliedern der Linkspartei sowie der parteiunabhängigen Liste «Stuttgart ökologisch sozial» (SÖS) gebildet wird, fordert, die Namen von ehemaligen NS-Anhänger*innen durch Antifaschist*innen zu ersetzen. So soll in Stuttgart das Ferdinand-Porsche-Gymnasium, der Hindenburg-Bau und ein nach dem ehemaligen NSDAP-Mitglied und späteren CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger benannter Platz neue Namen bekommen. Doch für die bundesweite Diskussionen sorgte vor allem die geforderte Umbenennung der Hanns-Martin-Schleyer-Halle.

Der ehemalige Arbeitgeberpräsident ist vielen als Opfer der Rote Armee Fraktion (RAF) in Erinnerung. Viel weniger wird über die Nazivergangenheit von Schleyer diskutiert. Dabei gibt es dazu viele Untersuchungen. Spätestens mit dem Filmporträt «Schleyer. Eine deutsche Geschichte», für das der Regisseur Lutz Hachmeister den Grimmepreis erhielt, ist bekannt, dass Schleyer bereits 1931 der Hitlerjugend und 1933 der SS beigetreten ist. 1935 trat er aus einer Studentenverbindung aus, der er, «mangelnde nationalsozialistische Gesinnung» vorwarf, weil diese sich weigerte, jüdische Altherren auszuschließen. Er trat der Nationalsozialistischen Studentenschaft bei, deren Funktionär er wurde.

Am 1. Mai 1937 wurde er Mitglied der NSDAP. Das sollte der Beginn einer schnellen Karriere im Nationalsozialismus werden. Schleyer wurde zum SS-Führer beim Reichssicherheitshauptamt ernannt und übernahm das Studentenwerk der Prager Universität. Noch 1944 gehörte er zu den führenden Männern des «Zentralverbands der Deutschen Industrie in Böhmen und Mähren», wie der Historiker Erich Später durch Recherchen nachwies. Nach dem Ende des NS hatte auch Schleyer einen Karriereknick. Er musste mit weiteren NS-Funktionären aus Prag fliehen.

Doch bald begann seine Nachkriegskarriere, die in den 1970er Jahren mit seiner Doppelfunktion als Präsident des Deutschen Arbeitgeberverbands (BdA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BdI) seinen Höhepunkt erreichte.

Für den stellvertretenden Bezirksbeirat der Linksfraktion in Bad Cannstatt, Martin Eickhoff, ist ein Mann mit einer solchen Vita als Namensgeber ungeeignet. «Gerade in Zeiten, wo der Rechtsruck immer offensichtlicher wird und immer mehr rechtsextremistische Zwischenfälle bei der Bundeswehr und auch in der Polizei bekannt werden, ist es Zeit für eine antifaschistische und fortschrittliche Erinnerungskultur», begründete Eickhoff gegenüber «nd» den Antrag zur Umbenennung. Er schlägt vor, die Halle nach dem Stuttgarter Kommunisten Walter Häbich zu benennen, der am 1. Juni 1934 von der SS erschossen wurde.

Auch der Bezirksvorsteher von Bad Cannstatt, Bernd-Marcel Löffler (SPD), äußert sich kritisch. «Gäbe es die Symbolik von 1977 nicht, wäre Schleyer nichts weiter als ein alter Nazi, der für die damalige Zeit typisch, nach dem Krieg rasch wieder in der Wirtschaft Fuß gefasst hat und es bis zum Arbeitgeberpräsident geschafft hat. Man hätte sicher keine Halle nach ihm benannt, wäre er irgendwann betagt im Bett gestorben.»

Doch für Löffler wurde Schleyer nach der Entführung durch die RAF zum «Symbol für die Stärke des Rechtsstaats. Damit bezieht er sich auf die damals auch kritisch diskutierte Weigerung des Staates, Schleyer gegen politische Gefangene auszutauschen. Die Debatte um die Umbenennung geht auch im Gemeinderat von Bad Cannstatt am 15. Juli weiter.

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