»Man muss es exzessiv betreiben«

Marcel Fischer aus Sachsen-Anhalt ist amtierender Weltmeister im Brandungsangeln. Ein Gespräch

Herr Fischer, Ihr Name ist ein Künstlername, oder?
Wie? Nee!

Na, ein Angelweltmeister, der Fischer heißt?
(lacht) Ja, der Name ist Programm.

Verdiente Meister des Sports (Teil 1)

Das »nd« blickt auf die unbekannten Besten aus unbekannten Sportarten. Heute: Marcel Fischer (38), Weltmeister 2019 im Brandungsangeln (Team)

Weltweit aktiv: Millionen Sportfischer, eine genaue Zahl nennt der Weltverband nicht.

Aktive in Deutschland: Der Deutsche Angelfischerverband (DAFV) besteht aus 27 Landes- und Spezialverbänden mit ca. 9000 Vereinen, in denen insgesamt rund 500 000 Mitglieder organisiert sind.

Olympiateilnahmen: Bislang keine. Der DAFV trat 2014 aus dem Deutschen Olympischen Sportbund aus.

Kritik: Tierschützer kritisieren das Sportfischen als Tierquälerei, was die Angler von von sich weisen. Laut Tierschutzgesetz sind sie verpflichtet, den Fang »einer sinnvollen Verwertung zuzuführen« (in der Regel: essen). Ein Fangen und Wiederfreilassen (»Catch and release«) ist nur in Ausnahmefällen zulässig. jig

Wie wird man in Ihrem Sport Weltmeister?
Ich sage es mal so: Man muss über viele Jahre geangelt haben. Man braucht Ausdauer, viel Training, ein bisschen Glück. Die Disziplin Brandungsangeln, in der wir Weltmeister geworden sind, muss man exzessiv betreiben. Es ist mehr als Hobby - fast schon krankhaft in den Augen vieler!

Inwiefern?
Nun, ich komme aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt, und fahre dennoch jedes freie Wochenende an die See: Dort stelle ich mich bei jeglichen Wetterbedingungen ans Meer: Regen, Schnee, Sonne oder Wind. Zum Angeln muss ich das Wetter nehmen, wie es kommt.

Wie aber wird man konkret Angel-Weltmeister? Geht es darum, wie viele Kilo Fisch man fängt?
Erstmal: Wir sind zu sechst Weltmeister geworden, als Mannschaft. Ist mir wichtig, das festzuhalten. Die Wertung ist von Land zu Land unterschiedlich: Bei Wettkämpfen am Mittelmeer zum Beispiel werden meist die Fische gewogen - in Italien, Spanien, Montenegro. 2019 in Südafrika gab es ein Punktesystem, das sich nach der Länge der Fische richtete. Am Ende hatten die drei Zweierteams in unserer Mannschaft die meisten Punkte erlangt.

Ihr Team hat den Erfolg im Rahmen der Weltangelspiele errungen. Was sind das für Spiele?
Das ist eine Wettkampfwoche, in der alle Weltmeisterschaften im Angeln stattfinden, fast wie bei Olympia. 5000 Angler waren 2019 dabei.

Wie lange angelt man an einem Wettkampftag?
Vier bis fünfeinhalb Stunden beträgt die reine Wettkampfzeit in etwa.

Fünf Stunden auswerfen, einholen, auswerfen, einholen?
Genau, nonstop. Man muss dafür körperlich fit sein. In Südafrika waren die Temperaturen gewöhnungsbedürftig. Die Hitze! Man musste sich vor der Sonne schützen. Wir waren komplett eingepackt in UV-dichte Kleidung, von unten bis oben.

Ist Angeln eine Materialschlacht?
Ja, ist es. Man versucht immer, auf dem neuesten Stand zu sein. Man hat sich über die Jahre auf das eine oder andere Produkt eingeschossen, auf das man vertraut. Mit dem fängt man dann im Endeffekt auch am besten. Denn ich muss dem Material voll vertrauen. Aber auch immer auf dem neuesten Stand der Technik sein.

Wenn ich jetzt auf die Idee käme, Brandungsangeln zu meinem Hobby zu machen, wie viel Geld bräuchte ich für die Grundausrüstung?
Hm. Sie brauchen zwei Rollen, zwei Routen, Schnur, ein paar Vorfächer, ein Dreibein. Dazu einen Eimer, ein Messer, einen Fischtöter, eine Messlatte. Wetterfeste Kleidung auch. Ich denke, zwischen 500 und 1000 Euro müssten sie ausgeben. Ihr Material hat allerdings nichts mit unserem Hightech-Equipment zu tun. Das ist nur die pure Grundausstattung.

Gibt es einen Lionel Messi des Angelns, einen Star der Szene?
Nicht so richtig. Die Leistungsdichte ist zu hoch. Man muss sich für jede WM neu qualifizieren. Die Wahrscheinlichkeit dafür, vier- oder fünfmal hintereinander bei einer WM zu starten, ist gering.

An welche Orte fahren Sie, wenn sie trainieren wollen?
An die Ostsee. Entweder die Ecke Kühlungsborn, Ribnitz-Damgarten, Börgerende. Oder Schleswig-Holstein: Alles, was um die Insel Fehmarn herum liegt. Der Kieler Bereich ist auch sehr fängig.

Nehmen Sie jedes Mal ein Hotel, oder schlafen Sie im Campingbus?
Einen Bus fahre ich schon, aber der ist voll mit Equipment. Wir buchen Unterkünfte, die ausgelegt sind direkt für Angler, mit Einfriermöglichkeiten für den Fisch, den wir natürlich verwerten.

Sie müssen jeden Fisch sinnvoll verwenden, sonst ist Angeln Tierquälerei, so ist die Rechtslage.
Jein. Es kommt immer darauf an. Wenn ein bestimmter Fisch zum Beispiel gerade Schonzeit hat oder er nicht das Mindestmaß erreicht, bin ich natürlich in der Pflicht, den Fisch schonend wieder zurückzusetzen. Wenn keine Schonzeit ist, ist der Fisch zu entnehmen und zu verwenden. Wir essen ihn. Und was übrig bleibt, wird eingefroren. Viel wird verschenkt, an Freunde und Familie.

Was machen Sie beruflich?
Ich bin Polizist. Da ist Sport an der Tagesordnung und natürlich auch im Dienstplan verankert. Das hilft mir auch im Angelsport.

Haben Sie im Blick, was Sie im Jahr für den Angelsport ausgeben?
Ach, ich glaube, da wollen wir nicht drüber sprechen.

Wieso? Soll Ihre Frau das nicht erfahren oder wie?
Ich habe keine Frau. Aber ich würde sicherlich viele andere Ehemänner in die Scheiße reiten, wenn ich jetzt die wahren Zahlen verrate (lacht).

An wie vielen Wochenenden trainieren Sie an der See?
In einem guten Jahr zwischen 15 und 17 Wochenenden. Ich bin in Sachsen-Anhalt Landestrainer im Brandungsangeln. Ich fahre oft als Coach mit den Leuten zum Hochseeangeln und Brandungsangeln an die Ostsee.

Was bringen Sie den Leuten bei?
Naja, beibringen trifft es nicht so gut. Wir tauschen Tricks und Kniffe aus, es wird viel geredet. Es ist ja jedes Mal anders. Wie heißt es so schön: Jeder Tag ist ein Angeltag, aber nicht jeder Angeltag ist auch ein Fangtag.

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