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Tropfen auf den heißen Stein
Eine Milliarde Euro soll in die Erforschung neuer Antibiotika investiert werden
Wirksame Antibiotika werden knapper: Immer mehr Krankheitserreger, darunter für Tuberkulose, haben Resistenzen entwickelt. Fehlen Antibiotika, können kleine Wunden lebensbedrohlich werden, ebenso wie Krankenhausaufenthalte und Operationen. Jedes Jahr verlieren rund 700 000 Menschen wegen solcher Resistenzen ihr Leben. Bis 2050 könnten es jährlich bis zu zehn Millionen sein. Deshalb müssen Ärzte schon jetzt den Einsatz der Antibiotika staffeln. Immer häufiger wird in Fachkreisen diskutiert, dass die neuesten Vertreter dieser Medikamentengruppe nur sparsam, als Reserve, genutzt werden sollten, damit nicht auch diese zu schnell obsolet werden. Schon vor mehr als zehn Jahren ahnten etwa Krankenhaushygieniker, dass ohne bahnbrechende Neuentdeckungen bald ein neues antibiotikafreies Zeitalter beginnen könnte.
Allerdings sind die Aussichten schlecht, dass das noch zu verhindern ist, da sich mittlerweile fast alle großen Pharmakonzerne aus der Entwicklung von Antibiotika zurückgezogen haben. Zuletzt waren das die Branchenriesen Novartis und Sanofi 2018 sowie Astra-Zeneca Ende 2016. Bis in die 90er Jahre hatten noch fast alle großen Hersteller Antibiotika entwickelt. Einige, darunter Bayer, Bristol-Myers Squibb oder Eli Lilly hatten sich schon vor mehr als zehn Jahren aus dem Bereich zurückgezogen. Stand 2019 forschten offenbar nur noch vier der 25 größten Pharmaunternehmen der Welt zu diesem Thema. Das waren MSD, GlaxoSmithKline, Otsuka und Roche in seiner Tochterfirma Genentech. Investitionen in Mittel, die dann nur sparsam genutzt werden sollen, ergeben für die Branche zumindest ökonomisch wenig Sinn.
Umso mehr überrascht es, dass nun gerade Big Pharma eine Initiative gestartet hat, um die Entwicklung neuer Wirkstoffe zu fördern. Mehr als 20 Unternehmen wollen insgesamt knapp eine Milliarde Euro in einem neuen Fonds bereitstellen. Bei der internationalen Vorstellung des Vorhabens scheute man weder Kosten noch Mühen: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sowie hochrangige Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Europäischen Investitionsbank waren in der letzten Woche bei zwei Videokonferenzen zugegen, außerdem die Konzernchefs von Bayer und dem US-Pharmahersteller Johnson & Johnson.
Dass dringend etwas passieren muss, ist das eine. Fantasien dazu, dass sich das auch wieder lohnen könnte, werden möglicherweise durch die jetzige Krise der Gesundheitssysteme in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie angeregt. Antibiotika können zwar nichts gegen Viren wie Sars-CoV-2 ausrichten, aber sie helfen gegen bakterielle Infektionen im Zuge von Covid-19, etwa Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen und Sepsis.
Mit dem neuen Fonds wurde vermutlich zugleich der Mechanismus angelegt, der bei künftigen Gewinnaussichten den großen Playern den Zugriff sichert. Denn die Milliarde Euro steht für kleine Firmen bereit, die zu möglichen Antibiotika forschen und aktuell nicht die Möglichkeit haben, aufwendige Studien und die anschließende Vermarktung zu finanzieren. Ein wissenschaftliches Gremium soll darüber entscheiden, wie sinnvoll und aussichtsreich die Projekte der Bewerber sind. Als Ziel wird angestrebt, bis 2030 zwei bis vier innovative Antibiotika zur Marktreife zu bringen. Die am Fonds beteiligten Pharmariesen sollen die kleinen Firmen bei Entwicklung, Zulassung und Vermarktung unterstützen. Die WHO will zudem inhaltlich beraten. Der neue Fonds soll voraussichtlich im vierten Quartal dieses Jahres einsatzbereit sein.
Darüber hinaus soll auf diesem Weg eine Allianz aus Industrie und nichtindustriellen Partnern, beispielsweise gemeinnützige Organisationen und Entwicklungsbanken, angeregt werden. Kritik an dem Vorgehen kommt aus verschiedener Richtung. Nachvollziehbar, dass die Hersteller an erster Stelle bessere Anreize erwarten, wenn sie sich auf aus ihrer Sicht nicht ausreichend lukrative Therapiebereiche konzentrieren. Sprich: Außer der Bezahlung für den Wirkstoff an sich werden Bonuszahlungen für die Marktzulassung oder zusätzliche Monats- oder Jahrespauschalen für die Herstellung gefordert.
Experten kritisieren zugleich, dass auch bei solchen Forderungen die Kosten der Unternehmen für Entwicklung, Herstellung und Vertrieb - wie auch die Gewinne - intransparent bleiben. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hält den neuen marktorientierten Ansatz für untauglich. Von Beginn an müssten Bedingungen für den Zugang zu den Antibiotika an öffentlich finanzierte Forschung geknüpft werden. Alle Ergebnisse müssten frei zugänglich sein, das geistige Eigentum bei der Allgemeinheit liegen. Verwiesen wird auf die Global Antibiotic Research and Development Partnership, die bereits nach diesen Maßstäben vorgeht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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