Die Widersprüche des Menschseins
Eine Ausstellung in Berlin feiert das Lebenswerk von Ronald Paris
Expressiven Realismus, drastischen Realismus, auch plastische Malerei hat man die Malweise von Ronald Paris genannt, und doch treffen solche Begriffe kaum auf sein Gesamtwerk zu beziehungsweise bezeichnen nur Teilstrecken seines Schaffens. Das Werk dieses Malers ist höchst vielgestaltig, komplex, alles andere als homogen - stets hat er wieder neue Entwicklungen aufgegriffen, neue Themen und Motive in sein Werk einbezogen. Mal experimentierte er mit symbolischer Abstraktion und Verhärtung der Form, dann wieder mit raumbezogener Statuarik oder flutenden Bildräumen und Raumverschränkungen. Die sinnliche Auslegung der Farbe führte ihn ebenso zu dramatischen Farbklängen und glutvoller Bewegtheit wie zu gefühlvollen milden Valeurs. Er hat schon mit Ende Zwanzig - 1961 - gesagt: »Ich suchte Entsprechungen, um unsere heutige Zeit darzustellen …« Und das ist eine Schaffensmotivation für ihn geblieben.
Der in Rangsdorf bei Berlin lebende Maler und Grafiker, der am 12. August seinen 87. Geburtstag begeht, wird im Schloss Biesdorf mit einer eindrucksvollen Bilderschau aus sechs Jahrzehnten gewürdigt - Landschaften, Stillleben, Porträts, Figurenbilder, Akte, mythologische Themen, bildnerische Entgegensetzungen zu Werken der Literatur und anderes mehr. Die Ausstellung geht nicht chronologisch vor, sondern konfrontiert frühe mit späten Werken, um so Entwicklungen und Wandlungen im Werk des Künstlers zu verdeutlichen.
Seine Reiseeindrücke in der Sowjetunion, in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich und Irland sind in einem farblichen Allegro furioso eingefangen worden. Nicht so sehr die topografischen Bedingungen hat Paris im Auge, sondern die atmosphärische Wirkung, durch die die Landschaft zusammengebunden wird, die Licht- und Schatten-Verhältnisse, die dunkel-dräuende Wolkenmasse, die vibrierenden Lufttöne. Bald dominiert ganz und gar die Faszination der bizarren Landschaft und der über sie herrschenden Naturgewalt. Das Ich des Künstlers ist nicht mehr hinter die Bilder getreten, sondern es ist eingeflossen in das stoffliche Panorama seiner Entwürfe.
Mit seinen Bildnissen von Künstlern, Schriftstellern, Theaterleuten, Wissenschaftlern aus der DDR hat Paris einen originären Beitrag zum Menschenbild unserer Zeit erbracht. Wir sollen mit ihnen in einen geistigen Dialog eintreten, uns erinnern, was sie geleistet haben, in ihren Gesichtszügen forschen, ihr Wesen ergründen, nach Entsprechungen dessen suchen, was den Por-trätierten eingegeben, was verdeckt angelegt und was von ihnen sichtbar geworden ist. Paris hat den Dramatiker Heiner Müller (1988, Graphit) porträtiert, die Hand überlegend an den Kopf erhoben; trotz aller Schärfe wirkt sein Blick doch unendlich fern, in sich gekehrt und unerreichbar. Das ganzfigurige Sitzbild von Hanns Eisler (1987, Kohle) zeigt diesen in seiner körperlichen Präsenz - mit den Händen scheint er zu dirigieren , und dieser in Gedanken dirigierende Eisler ist dann die stimmige Version geblieben. Im Blick der Grande Dame der Schauspielkunst, Inge Keller (2009, Kohle), wird die Gefährdung des Alters zunichte und verdichtet sich die physische Kraft zu leben. Mit 93 ist sie 2017 gestorben.
Ohne ein kompaktes Gefühl für Raum und Volumen könnten Bilder wie »Lear« (1984, Öl) oder »Jüdisches Requiem« (1988, Öl, zu Isaak Babel »Die drei Welten«) kaum mit einer solchen Intensität zu uns sprechen. Paris lässt die Gewalttätigkeit zu sich langsam bewegenden oder vollkommen statischen Körperformen gerinnen und gibt seinen Szenen durch übertriebene Kreuz- und Querverbindungen zwischen Vorder- und Hintergrund ein klaustrophobisch zusammengepresstes Aussehen. Aus der räumlichen Verdichtung gotischer Altarbilder (Paris hat 2004 auch einen Flügelaltar für seine Heimatstadt Sondershausen geschaffen) entsteht der Schauplatz moderner Kreuzigungen und Kalvarien. Eine brillante Synthese aus traditionellen Leidenssymbolen und einem Gefühl bedrohlicher Macht in den Gebrauchsgegenständen der Moderne. Die ironische Ambivalenz der Verfremdung wird bei Paris noch vertrackter durch die Bruchstückhaftigkeit der Bildteile, die den Betrachter unwillkürlich zu Fortsetzung und Ergänzung anregt. Die durch Fragmentierung bewirkte Verfremdung soll die Fantasie aktivieren - der Künstler richtet Angebote an den Betrachter, die so, aber auch ganz anders angenommen werden können.
»Ronald Paris. Bilder vom Sein - Arbeiten aus sechs Jahrzehnten«, bis 14. August, Schloss Biesdorf, Alt-Biesdorf 55, Berlin; Lektüretipp: Karlen Vesper: »Ronald Paris. Wahr und wahrhaftig«. Das Neue Berlin, 256 S., geb., 15 € (im nd-Shop).
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