Giuseppe Conte hat es eilig

Gegen die Rezession: Mit Zuschüssen und Krediten der Europäischen Union will Italien ökonomischen Folgen der Coronakrise begegnen

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Unterstützungsgelder aus dem EU-Recovery-Plan, mit dem den schwersten Wirtschaftsschäden infolge der Covid-Pandemie begegnet werden soll, fließen erst ab dem zweiten Halbjahr 2021. Doch bereits jetzt drückt Italiens parteiloser Premierminister Giuseppe Conte aufs Gas.

Italien gehört zu den von der Coronakrise am meisten betroffenen Staaten Europas. Nicht nur die hohen Infektions- und Todesraten haben dem »Belpaese« schwer zu schaffen gemacht. Der von Rom verordnete totale Lockdown im ersten Halbjahr 2020 hat die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft fast in den Ruin getrieben.

Kein Wunder, dass sich Premier Giuseppe Conte auf dem EU-Gipfel in Brüssel für eine hohe Rate an Zuschüssen im Rahmen des EU-Aufbauplans starkmachte. Allerdings vergeblich, wie der Ausgang der zähen Verhandlungen zeigte. Die erwarteten 500 Milliarden Euro Zuschüsse schmolzen auf 390 Milliarden zusammen. Davon soll Italien immerhin 81,4 Milliarden Euro bekommen, zuzüglich 127,4 Milliarden Kredite. Eine Gesamtsumme von etwa 210 Milliarden Euro, mit denen die Regierung in Rom die Wirtschaft in den kommenden Jahren wieder ankurbeln will.

Zu den in Brüssel ausgehandelten Bedingungen gehört jedoch, dass Rom einen detaillierten Plan vorlegen muss, für welche Wirtschaftszwecke das Geld ausgegeben werden soll. Erfahrungsgemäß kann das Erarbeiten eines solchen Finanzierungsplanes hierzulande zu einem langwierigen Prozedere werden. Das will Conte auf jeden Fall umgehen und sucht daher nach Möglichkeiten, auch die Opposition mit ins Boot zu nehmen.

Contes Taktik dabei ist, in jeder der beiden Parlamentskammern je eine Wirtschaftskommission zu installieren, die Vorschläge für die Verteilung sowohl der Zuschüsse als auch der Kredite unterbreiten sollen. Je eher ein solcher fundierter Plan vorliegt, desto eher könnten die europäischen Hilfsmittel tatsächlich fließen. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni stellte ein solches Szenario zumindest in Aussicht: Bei Vorliegen der Projekte könnten demnach zehn Prozent der Gelder bereits vor dem zweiten Halbjahr 2021 ausgezahlt werden, weitere 70 Prozent dann in den Jahren 2021/22. Dies könnte eine immense Hilfe sein, die angeschlagene italienische Wirtschaft zu retten.

Um das Ziel zu erreichen, will Conte auch Mitglieder der Opposition in die Kommissionen holen. Von Lega und Fratelli d’Italia ist keine Unterstützung zu erwarten; zu konträr sind die politischen Positionen Matteo Salvinis und Giorgia Melonis zur römischen Administration. Die Forza Italia Silvio Berlusconis hat indes die Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert, ihr langjähriger Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, Renato Brunetta, sollte Kommissionschef im Unterhaus werden. Gegen diese Personalie legte allerdings die Fünf-Sterne-Bewegung ihr Veto ein, wenngleich sie einer Beteiligung von FI zustimmte.

Noch lässt sich nicht endgültig abschätzen, in welchem Umfang die Corona-Epidemie Italiens Wirtschaft beschädigen wird. Insgesamt ist die Produktivität im ersten Quartal um 5,3 Prozent, im zweiten sogar um 12,7 Prozent gesunken. Das Statistikamt erklärte, man sei beim BIP auf den Wert von 1993 gesunken. Dass bereits ein immenser Schaden eingetreten ist, sieht man auch im alltäglichen Straßenbild: Viele Einzelhandelsgeschäfte und auch Einkaufszentren haben aufgeben müssen.

Mit Maßnahmen wie einem Ökobonus will die Regierung nun Anreize schaffen. Bis zu 10 000 Euro kann ein Erwerber eines ökologisch vertretbaren Elektromobils erhalten, wenn er dafür ein Auto der Schadstoffklassen 1 bis 4 verschrottet.

Dass eine solche Rezession mit den EU-Hilfen allein nicht aufgefangen werden kann, stellte Conte bereits klar. Das Anliegen seiner Regierung ist, zu den jetzt beschlossenen EU-Mitteln auch noch welche aus dem Europäischen Rettungsschirm aufzunehmen. Das zielt auf eine Summe von nochmals 36 Milliarden Euro ab.

Allerdings hängt ein Gelingen all dieser Pläne Roms davon ab, dass sich die Gesellschaft erholt und keine zweite Covid-Welle wieder in den Lockdown führt. In so einem Fall dürfte die italienische Wirtschaft einem Super-GAU entgegen gehen, der nicht ohne Einfluss auf das gesamte europäische Gefüge bliebe.

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