Wenn das Zuhause schmerzt

Rechte Landnahme: In Greifswald, Plauen und Zwickau gewinnen Rechte an Einfluss. Was macht das mit den Menschen dort?

  • Fabian Hillebrand
  • Lesedauer: 7 Min.

Wir sind gar nicht rechtsradikal, rechtsradikal, rechtsradikal« - die jungen Männer, die das rufen, tragen Schwarz und die Haare an den Seiten militärisch kurz. Einige von ihnen haben sich Bomberjacken angezogen, einer trägt eine Maske: Ein Schweinekopf mit durchtrainiertem menschlichem Körper guckt über einen Fußballplatz in Lassan, einer der kleinsten Städte Deutschlands. Zwei Männer recken den Arm zum Hitlergruß, einer brüllt: »Sieg Heil!«

Al Karama heißt Würde

Bei einem Kreisligaspiel stehen sich der Volkssportverein Lassan und der FC Al Karama aus Greifswald gegenüber. »Al Karama« ist arabisch und bedeutet »Würde«. Das Team aus Greifswald besteht überwiegend aus Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen sind. Doch auch Menschen aus Eritrea, dem Sudan und Taiwan tragen das blaue Trikot. Deutsche sind auch dabei, Greifswalder, nur »sehen die eben oft nicht aus, wie manche sich Deutsche vorstellen«, erzählt Ibrahim Al-Najjar, Vereinsvorsitzender von Al Karama. Der ist ein »eingefleischter Vorpommer« und würde nie woanders leben wollen. Der Verein erfahre auch viel Unterstützung in der Region, das ist Al-Najjar wichtig zu betonen. Aber eben nicht überall.

Mohamad Al Khalif hat den Verein gegründet. In Syrien hatte er professionell Fußball gespielt. Nachdem er nach Deutschland gekommen war, suchte er einen Weg, um »einfach Fußball zu spielen«. Und die Integration einfacher zu machen.

Al Khalif führt die Mannschaft in die Kreisklasse. Eine gelungene Integrationsgeschichte - Flüchtlinge, die sich im deutschen Vereinswesen engagieren. Aber manchmal führt gelungene Integration nicht zu Anerkennung. In diesem Fall führte sie zu Hass. Eine Facebook-Seite mit dem Titel »Fußball im Kreis bleibt weiss« organisiert Widerstand gegen das Team und lud unter anderem zu der Partie in Lassan. Im Logo der Gruppe finden sich in Schwarz-Weiß-Rot der sozialistische Ährenkranz und der Reichsadler der Nazis. Ihr Ziel: »Wir sind eine Seite die gegen eine Asyl-Mannschaft im Amateurfußball sind.«

Affenlaute und Schuldzuweisungen

Den Organisatoren hinter der Seite fehlt mehr als ein Deutschkurs. Für sie ist der Fußball nicht deutsch genug. Um dafür zu sorgen, dass er es wieder wird, ziehen sie pöbelnd den Syrern aus Greifswald hinterher. Manchmal sind es über 300 Menschen, die an der Seitenlinie Affenlaute machen, Parolen grölen, den Hitlergruß zeigen. 300 Menschen gegen die Mannschaft aus Greifswald, die an diesem Tag mit 15 Spielern angereist ist.

Der Bürgermeister von Lassan, Fred Gransow von der CDU, war nicht bei dem Spiel dabei. Trotzdem sagt er später: »Man kann keiner Seite die Schuld geben. Beide haben sich hochgeputscht und gegenseitig provoziert.«

Im August gibt Al Karama auf. »Wir ziehen uns erst mal zurück«, sagt Al-Najjar. Der Vereinspräsident hat das Team für die nächste Saison abgemeldet. Er sagt, er habe auch ein schlechtes Gewissen gehabt. Die meisten Spiele von Al Karama mussten unter Polizeischutz stattfinden. »Eine ziemliche Belastung für den Steuerzahler«, beklagt der 47-Jährige. Einfach Fußball zu spielen, das sei nicht mehr möglich gewesen. »Die Spieler hatten das Gefühl, auf Auswärtsspielen in den Krieg geschickt zu werden.« Bei den Spielen in Lassan müssen Polizisten die Abreise der Spieler begleiten. Sie stehen in zwei Reihen und bilden einen Schutzwall gegen Flaschen, Spucke und Beleidigungen. »Wir waren froh, heil nach Hause gekommen zu sein«, erzählt der Trainer von Al Karama.

In einem Jahr soll der Verein aber wiederkommen. Eventuell aber mit mehr deutschen Spielern, oder welchen, die eben so aussehen. »Um den Druck rauszunehmen.« Auf eine Reaktion des Landessportbunds wartet Al Karama immer noch. Der Volkssportverein Lassan hat keine Strafe erhalten. Das würde die Fans nur weiter provozieren, heißt es.

Zwickau: Prügel einstecken ist Alltag

Eigentlich sollte alles etwas anders beginnen. Anfang 2020 beschloss Tony Fischer, sich einen lange gehegten Traum zu erfüllen: einen eigenen Laden eröffnen. Nun kehrt er zum wiederholten Male die Scherben vor der »DIY-Druckbar« in Zwickau zusammen.

Der Mann mit den blauen Haaren will dort T-Shirts und selbstbedruckte Klamotten verkaufen. Sein Laden liegt am Rande der malerischen Innenstadt von »Zwigge«. Dort reihen sich kleine Cafés aneinander, und das Rathaus präsentiert seine neogotische Fassade. Es könnte so friedlich sein. Wären da nicht die Geschichten, die Fischer hineinspuckt in diese Idylle: von Anfeindungen übers Internet, Telefonterror, Drohmails und Bedrohungen auf offener Straße. Schon einiges hat der junge Mann mit den blauen Haaren über sich ergehen lassen müssen.

Die Innenstadt wird an manchen Tagen zu einer »No-go-Area« für ihn. Wenn die »Matschbirnen« durch die Stadt ziehen, ein Gemisch aus Corona-Leugnern, Verschwörungstheoretikern und strammen Nazis, wird es für Fischer und seine Punker-Bande gefährlich. »Was dann hier abgeht ist nicht mehr normal«, sagt Fischer und erzählt davon, wie mehrere Nazis ihn und seine Freunde durch die Stadt gejagt haben. Es sei fast zu einer »Massenklopperei« mitten in der Stadt gekommen.

Vor und nach solchen inzwischen regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen ist die Lage immer brenzlig und angespannt. Da laufen besonders viele Nazis durch die Stadt und suchen nach Opfern. Aber in der sächsischen Kleinstadt kann es »an jedem Tag im Jahr aufs Maul geben«, erklärt Fischer. Manchmal reicht es schon, mit einem Skateboard durch die Innenstadt zu fahren.

Fischer hat seine Drucker-Ausbildung in Leipzig gemacht. Die Stadt war größer, antifaschistischer, kulturell reicher. Statt nur Auftritte von Schülerbands, die sich an drei Akkorden die Finger wund spielen, gibt es in Leipzig eine Unmenge an Konzerten bekannter Bands. »Und alle sind gelangweilt«, meint Fischer. Es zog ihn zurück nach Zwickau. Dort ist er politisch aktiv, organisiert Punkkonzerte und Demonstrationen gegen die Starre der Provinz.

Zu Hause ist da, wo es wehtut

Gefallen hat das nicht allen. Bald kamen die ersten Drohanrufe auf sein Handy, er wird vor seiner Wohnung abgepasst und bedroht. Im Internet machen Rechte in Sozialen Netzwerken gegen ihn mobil, outen ihn und seinen Laden. Kurz darauf splittern das erste Mal die Scheiben seiner Druckbar.

Fischer wird nicht gehen, woanders war er ja schon. Und da war es auch nicht besser, irgendwie.

Er ist zurück, um »etwas aufzubauen« und die Stadt bunter zu machen. So bunt wie seine Haare. Noch hat er Hoffnung.

Plauen: Hitlerjugend sammelt Kleiderspenden

Trommeln im Stile der Hitlerjugend, Pyrotechnik, uniformähnliche Kleidung, mehr als 500 Neonazis in Marschformation. Bedrohungen, Gewalt, Einschüchterungen des politischen Gegners. Aber auch: Kleidersammlungen für Bedürftige, Kritik der Corona-Programme der Bundesregierung. Beides sind treibende Elemente der Inszenierung von »Der Dritte Weg«. Eine Nazipartei, die vor allem in Plauen und im Vogtlandkreis aktiv ist.

In der Nacht zum Samstag griffen mehrere Männer im Erfurter Ortsteil Herrenberg drei Migranten aus Guinea an, zwei von ihnen wurden verletzt, einer schwer. Die von der Polizei ermittelten Tatverdächtige wurden dem »Dritten Weg« zugeordnet. Alle wurden wieder freigelassen.

Safiye Malouda beobachtet diesen laschen Umgang der Behörden seit Jahren. Sie war auf mehreren Gegendemonstrationen. Bei einer gedenken die rechten Aktivisten an diesem Tag der gefallenen Wehrmachtssoldaten - ihrer »Helden«, wie es damals in der Ankündigung heißt. Malouda demonstriert am Rande der Aufmarschroute. Sie zieht von Straße zu Straße, um den Rechten möglichst oft ihren Unmut zu bekunden.

Plötzlich greift ein Ordner der Nazis die Gruppe an. Erst merkt Malouda gar nicht, dass einer ihrer Freunde von hinten geschubst wird. Dann wird ihre Hand verdreht. Sie ist verstaucht, Malouda muss später eine Schiene tragen. Als sie die Polizei dazu holen will, reagiert diese zunächst nicht. Sie nimmt nicht die Identität des Angreifers auf, zieht ihn nicht aus der Versammlung heraus. Erst später kann Malouda eine Anzeige stellen. Ob wirklich ermittelt wird, weiß sie nicht.

Seit sie den rechten Kader angezeigt hat, bekommt sie Drohnachrichten: »Bleib das nächste Mal besser zu Hause, sonst wird das Krankenhaus dein neues Zuhause«, schreibt ihr ein »N. Rekker« auf Facebook. »Wir sind mindestens 50 Mann, die bereit wären, für unsere Kameradschaft dir das Gesicht zu zertrümmern«, schreibt »Jens«.

Ob Malouda links ist, kann sie nicht sagen. Sie musste nach der Wende vor den Nazis weglaufen. Sie muss es heute wieder. Damals, erzählt sie, konnte man sich nicht sicher sein, dass sie einen nicht töten. Aus Versehen, im Rausch oder gar mit purer Absicht.

Heute hat sie dieses Gefühl wieder.

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