Jede Autoreperatur kann gefährlich sein

Die neue Serie »Lovecraft Country« erzählt von Horror und Rassismus in den USA der 1950er-Jahre

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.

Der US-amerikanische Science-Fiction- und Fantasy-Autor H.P Lovecraft war ein Experte für alptraumhafte Horrorgeschichten. Sein Werk gilt gemeinhin als bedeutende literarische Ressource der Popkultur. Dass der 1890 in Rhode Island geborene und 1937 dort verstorbene Lovecraft überzeugter Rassist und Antisemit war, ist mittlerweile hinlänglich bekannt und auch Gegenstand zahlreicher Debatten. Aus diesem Grund ziert sein Konterfei auch seit 2015 nicht mehr den Literaturpreis des »World Fantasy Award«.

Die renommierte nigerianischstämmige amerikanische Science-Fiction-Schriftstellerin Nnedi Okorafor hat so einen »Lovecraft« zu Hause stehen und kommentierte das auf ihrem Blog mit den Worten: »Ich bin die erste schwarze Person, die den ›World Fantasy Award‹ seit seiner Einführung 1975 für den besten Roman bekommen hat. Lovecraft dürfte sich deswegen im Grab umdrehen.« Dennoch plädiert sie dafür, wie auch wie der britische trotzkistische Science-Fiction-Autor China Mievielle, ebenfalls »World-Fantasy-Award«-Träger, sich mit Lovecrafts literarischem Erbe, das auch heute noch enormen Einfluss auf die Phantastik hat, kritisch auseinanderzusetzen. Einen solchen kritischen Zugang zu Lovecrafts Werk fand schon vor ein paar Jahren der aus New York stammende Schriftsteller Matt Ruff, der gerne aus dem Fundus der Popgeschichte schöpft. 2016 nahm er sich ausgerechnet »Schatten über Innsmouth«, die gemeinhin als am meisten rassistisch geltende Erzählung Lovecrafts, vor und machte aus Motiven der Geschichte einen Roman über Rassismus in den USA der 1950er Jahre.

Dieses Vorgehen bezeichnete der »Guardian« als eine »Austreibung«.Man kann es auch etwas weniger pathetisch als eine subversive Aneignung verstehen. Überdies war »Schatten über Innsmouth« der einzige Text des ökonomisch mit seiner Schreiberei wenig erfolgreichen Lovecraft, der zu seinen Lebzeiten in Buchform erschien, die meisten seiner Erzählungen kamen in Pulp-Magazinen heraus. Ruffs Roman »Lovecraft Country« ist nun als aufwändige, bildgewaltige zehnteilige Serie für HBO verfilmt worden und läuft hierzulande auf Sky.

»Lovecraft Country« erzählt die Geschichte des Koreakriegsveteranen Atticus Black und seiner Jugendfreundin Letitia Dendridge aus Chicago, die sich zusammen mit dem Onkel von Atticus auf die Reise in die Pampa von Neu-England machen, um seinen dort vermissten Vater zu finden. Auf ihrer mehrtägigen Autofahrt durch die ländlichen USA der 1950er Jahre werden die drei ständig mit Rassismus konfrontiert und kommen mehrere Male nur knapp mit dem Leben davon. Etwa als sie durch eine »Sundown town« kommen, in der es Schwarzen verboten ist, nach Einbruch der Dunkelheit auf der Straße zu sein. Gerade im vermeintlich aufgeklärten Norden der USA gab es zahlreiche Gemeinden, die derartige rassistische Regeln hatten, die oft erst in den 1960er Jahren abgeschafft wurden.

Der Onkel von Atticus kennt sich mit der Gefahr des Reisens für People of Color aus, denn er hat den »Safe Negro Travel Guide« geschrieben, der auflistet, in welchen Gemeinden, Motels oder Reparaturwerkstätten Schwarze willkommen sind oder nicht. Tatsächlich gibt es hierzu eine historische Vorlage, das »Negro Motorist Green Book« von Victor Hugo Green aus den 1930er Jahren. Nicht nur das Reisen selbst war aufgrund der rassistischen Gewalt mitunter lebensgefährlich, auch Übernachtungen und Autoreparaturen konnten zu einer enormen Hürde werden. Ob letztlich die Lovecraft’schen Monster, die in Neu-England nachts durch die Wälder streichen und Menschen Köpfe abreißen oder die ganz normalen Rassisten, die den Dreien in diesem Bilderbuch-Amerika begegnen, schlimmer sind, bleibt dahingestellt. Schließlich landen sie im viktorianischen Anwesen einer Familie, mit der Atticus Black verwandt zu sein scheint. Auch seinen Vater finden sie und plötzlich sind sie Gefangene einer mysteriösen Geheimloge, die über Zauberkräfte verfügt und ein Portal in eine andere Welt öffnen will. Nur liegt diesem typisch Lovecraftschen Erzählsujet eine Geschichte über Rassismus und Sklaverei zugrunde, die sich mit einem Mal gegen die weißen Eliten wendet, für die Atticus als Nachfahre eine zentrale Rolle bei einem Ritual spielen soll. Die Magie wird plötzlich gegen die Rassisten eingesetzt und hört auf, ein Herrschaftsinstrument der Weißen zu sein.

Atticus und die Seinen kommen schließlich frei und kehren nach Chicago zurück. Wie im Roman folgen auch in der Serie anthologieartige Geschichten, die motivisch mit Atticus und Letitias Familien und ihrem bizarren Abenteuer in Neu-England verknüpft sind. Unter anderem geht es um ein Geisterhaus in Chicago, um einen geheimen, unterirdischen Schrein und einen magischen Trank, der das Aussehen von Menschen verändert. Dadurch wird ein ganzes Panorama fantastischer Geschichten aufgefächert, in denen es aber immer um Rassismus geht.

Da wird der Geist eines toten Wissenschaftlers, der Experimente an People of Color durchführte, exorziert oder es geht um das Massaker von Tulsa 1921, das auch in der HBO-Serie »Watchmen« eine zentrale Rolle spielte. In einer Geschichte wird Letitias Schwester ein Getränk verabreicht, das sie plötzlich weiß werden lässt, woraufhin sie in der Öffentlichkeit ganz anders wahrgenommen wird und sich auch erfolgreich um ihren Traumjob bewerben kann.

Prügelnde Polizisten und mit Baseballschlägern bewaffnete rassistische Nachbarn bevölkern diese Serie ebenso wie wehrhafte People of Color, die fortwährend kämpfen müssen, sich erfolgreich zur Wehr setzen, aber im nächsten Moment schon wieder mit neuen rassistischen Anfeindungen und Bedrohungen konfrontiert werden. Unter anderem von einer Erbin der Geheimloge, die plötzlich in Chicago auftaucht.

»Lovecraft Country« ist eine bis ins kleinste Detail perfekt inszenierte Serie über das schwarze Amerika der 1950er Jahre, mit genial eingesetzter Musik, wenn etwa die Cimemascopeartigen, farbintensiven Bilder immer wieder mit kämpferischem HipHop unterlegt werden. Aber auch queere Dancehall-Szenen mit typischem Fifties-Swing fehlen nicht. Die Frage von Geschlecht und sexueller Orientierung spielt im Gegensatz zum Roman eine nicht unwichtige Rolle. Damit setzt die filmische Adaption auch eigene Akzente und entwickelt die Handlung im Spannungsfeld aktueller gesellschaftspolitischer Debatten weiter.

Die Drehbuchautorin Misha Green, die die Serie entwickelt hat und die auch schon für die historische Serie »Underground« über Fluchtrouten in der Sklaverei des 19. Jahrhunderts verantwortlich zeichnete, betont, dass die Thematisierung von Rassismus in dieser Form ohne den Erfolg von Filmen wie »Get out« gar nicht möglich gewesen wäre. Jordan Peele, neben J.J. Abrams Produzent von »Lovecraft Country«, hatte 2018 für diesen rassismuskritischen Horrorfim als erster Schwarzer den Oscar für das beste Drehbuch erhalten. Er ist derzeit einer der wichtigsten Macher des zeitgenössischen schwarzen Kinos in den USA. Unter anderem war er auch an der Produktion von Spike Lees »BlackKklansman« (2018) beteiligt.

Durch die Black Lives Matter-Proteste der vergangenen Monate nach dem Tod von George Floyd erhält »Lovecraft Country« natürlich weitere Aktualität. Andererseits ist Rassismus zeitlos virulent. Die Schauspiel᠆erin Junee Smollet, die Letitia verkörpert und auch Black-Lives-Matter-Aktivistin ist, hat es kürzlich in einem Interview gegenüber der Zeitschrift »Elle« betont: »Das Unglückliche an unserer Nation ist, dass [«Lovecraft Country»] an jedem Tag, in jedem Monat, in jedem Jahr seit 1619 (der ersten Ankunft schwarzer Sklaven auf späterem US-Territorium) hätte herauskommen können, und es wäre relevant, was wir in dieser Serie erfahren.«

Die rassistische Gewalt und der abgründige Horror mörderischer Monster fallen in »Lovecraft Country« schließlich zusammen, bedingen einander und sind nicht voneinander zu trennen. H.P. Lovecraft wird zum Namensgeber dieser feindseligen Landschaften in einer Serie, die auch vom fortwährenden emanzipatorischen Kampf der Menschen erzählt.

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