Begehren oder Angst?

Die Ausstellung »Mithly« in Frankfurt am Main wirft einen Blick auf die lebendige queere Kultur des arabischen Raums

  • Matthias Ebbertz
  • Lesedauer: 5 Min.

In Paris gibt es ein Kino, das »Le Louxor«. Es ist ein Filmpalast der 1920er Jahre, der den Glanz der Pharaonen in die westeuropäische Metropole bringen sollte. Die Geschichte, die Julian Volz in seinem neuen Projekt »Mithly« erzählen will, sie könnte dort beginnen, mitten in Paris, in einem ägyptischen Tempel des Films, der in den späten 80ern in eine Schwulendisco umfunktioniert wurde.

Mithly ist ein arabisches Wort für Homosexuelle. Es wurde um die Jahrtausendwende erfunden und etabliert, um die zuvor verwendeten abwertenden Begriffe zu ersetzen. Mithly, das ist auch der Titel einer audiovisuellen Recherche-Installation im Synnika, einem Raum für Theorie und Praxis in Frankfurt am Main. Im Frankfurter Bahnhofsviertel, in dem sich Begehren und seine kapitalistisch-patriarchale Deformierung ineinandergeschrieben haben, lässt uns Julian Volz ab dem 20. August einen Blick auf die lebendige queere Kultur des arabischen Raums werfen. Zu sehen sind außerdem neue, bislang noch nicht gezeigte Bilder aus der Serie »Bedworks« des marokkanischen Künstlers Soufiane Ababri, in der er sich mit den Machtverhältnissen zwischen arabischen und europäischen Männern in der schwulen Kultur auseinandersetzt.

Herzstück der Installation ist ein Zwei-Kanal-Film von anderthalb Stunden Länge, also ein Film, der auf zwei Bildschirme aufgeteilt gezeigt wird. Volz befragt dabei den eigenen Blick und explizit auch den westlichen Blick. Warum wurde der »Orient« von europäischen Intellektuellen und Künstlern zur Projektionsfläche des eigenen unterdrückten sexuellen Begehrens gemacht, als in Europa die Sexualität den Anforderungen der Fortpflanzung unterworfen wurde? Wieso wird der arabische Raum heute dagegen hauptsächlich als prüde und homophob wahrgenommen? Diese Zuschreibung reicht selbst in Teile der Linken oder ehemaliger Linker hinein, die den arabischen Raum nur als Dreifaltigkeit von Islamismus, Unterdrückung und Angst begreifen können. Gleichzeitig gibt es aber auch heute noch die rassistische Zuschreibung der Sexualität des arabischen Mannes als triebhaft.

Das Kino »Le Louxor« in Paris ist so ein Ort der Erfindung des »Orients« durch den Westen. Mit der Eroberung Ägyptens setzte Napoleon Bonaparte 1798 den Startpunkt für die Kolonialisierung der arabischen Welt durch die Europäer. Ideell wurde sie in diesem Gebäude ein zweites Mal vollzogen. Mit dem französischen Blick auf Ägypten, der sich in dem Kino architektonisch manifestiert, wurde Wissen über die Kolonialisierten geschaffen. Das ermöglichte die Herrschaft über die Unterdrückten. Gleichzeitig schrieb sich ein Begehren wie eine Angst vor dem Anderen in dieses Wissen ein. Deswegen könnte der Film »Mithly« hier beginnen, an einem Ort, der den europäischen Blick auf den »Orient« in Stein meißelte.

Aus dem Pariser Arbeitszimmer von Antoine Idier sieht man das Kino »Le Louxor«. Mit diesem Blick auf das Gebäude wird Idier in Volz’ Film eingeführt. Der Soziologe, Experte für die Geschichte der französischen Homosexuellenbewegung, kritisiert diese wegen ihrer rassistischen Obsession für die Sexualität arabischer Männer. Ihr Bild des »Orients« war oft das eines sexuellen Sehnsuchtsorts. Ihre eigene Emanzipation war für sie möglich dank der immer namenlos bleibenden arabischen jungen Männer. Mit ihnen konnten sie Sex haben und ihr eigenes homosexuelles Begehren ausleben.

Queeren Personen im arabischen Raum, das macht der marokkanische Schriftsteller und Filmemacher Abdellah Taïa in dem Film deutlich, ist die Emanzipation daher häufig als doppelte aufgezwungen: von der Homophobie der eigenen Gesellschaft wie von der westlichen Schwulenbewegung. Sie kämpfen um einen eigenen Weg in ihrem gesellschaftlichen und historischen Kontext, ohne dabei jedoch den Anspruch auf eine universelle Befreiung aufzugeben. Volz schafft es, das durch den Zusammenschnitt der Filme in seiner Installation offenzulegen. Er verschachtelt diese auf vielfältige Weise, so wie die Geschichten auf vielfältige Weise mit den europäischen Geschichten verbunden sind, sich abstoßen, einander bedingen, aufeinander beziehen. Diese Verschachtelung, in die sich der Kolonialismus mit Macht eingeschrieben hat, wird in der Installation aber nicht einfach nur reproduziert, sondern durch die Offenlegung greifbar gemacht, erfahrbar und kritisierbar.

Doch eigentlich beginnt »Mithly« nicht, wie Volz selbst es über seine Video-Installation sagt, in Paris, sondern in Beirut. Und das ist ihre große Stärke. Denn im Zentrum dieser Ausstellung steht nicht der europäische Blick, der jedoch immer mitreflektiert wird, sondern die lebendige queere Kultur des arabischen Raums und deren Protagonisten. Der Film beginnt mit einer Straßenszene in Beirut, dann wird der libanesische Künstler Akram Zaatari dazugeblendet. Er ist einer der Gründer der »Arab Image Foundation«. Mit seiner Arbeit in diesem Archiv will er das in den historischen Bildern verankerte queere Begehren zutage fördern und erhalten, aber auch reaktivieren, verfügbar machen und sich durch einen neuen Kontext aneignen. Und so löst auch Volz’ Film das queere Begehren im arabischen Raum aus der Geschichte der europäischen Emanzipation heraus und lässt seine vielfältige Eigenständigkeit sprechen.

Wenn in Deutschland die queere Bewegung in der arabischen Welt thematisiert wird, dann wird oft über sie und ihr Leiden gesprochen. Volz aber will gerade nicht die hundertste Geschichte von Traurigkeit, Repression oder Angst erzählen. Ihm ist es wichtig, auch einmal den Fokus auf die queere Lebenslust etwa im Libanon oder in Marokko zu setzen, deren Ausstrahlungskraft in den gesamten arabischen Raum hineinreiche.

Julian Volz lebt in Brüssel, wo er am Goethe-Institut arbeitet, und in Frankfurt am Main. Die Vernissage von »Mithly« ist am 20. August um 19 Uhr im Frankfurter Synnika mit einem Gespräch zwischen Julian Volz, Antoine Idier und Soufiane Ababri.

»Mithly«, bis 15. November, Synnika, NIKA.haus

Niddastraße 57, Frankfurt am Main.

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