Für das eigene Ego

Ägypten wählt zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Senat

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wähler*innen, die für die Partei »Zukunft der Nation« (ZdN) stimmten, erhielten Essenspakete, das Zeitfenster für die Wahl war mit zwei Tagen wie in Ägypten üblich weit geöffnet. Und trotzdem: Die Wahlbeteiligung blieb so niedrig wie nie zuvor seit der Machtergreifung des ehemaligen Generalstabschefs Abdelfattah al-Sisi im Sommer 2013. Gerade einmal 14,23 Prozent der um die 62 Millionen Wähler*innen gaben nach Angaben der Wahlbehörde am 11. und 12. August 2020 ihre Stimme ab. Es gewann die ZdN.

Die 2014 von Geheimdienstlern und Militärs gegründete ZdN entwickelte sich ziemlich schnell zu einer Art Einheitspartei, die das politische Leben im Land dominiert. Ein Parteiprogramm gibt es nicht, stattdessen steht man felsenfest hinter Präsident Abdel Fattah al-Sisi und seiner Regierung.

Längst ist die ZdN die größte Partei im Parlament, denn nachdem man zunächst bei der Parlamentswahl 2015 mit 53 der 396 Sitze stärkste Fraktion geworden war, liefen Abgeordnete anderer Fraktionen und Unabhängige zur ZdN über. Und nun also hat man sich auch eine Mehrheit im Senat gesichert, einem neuen Oberhaus des Parlaments, das vor allem dazu da ist, Verfassungsänderungen und Staatsverträge zu ratifizieren.

Das Wahlsystem ist kompliziert: 100 der Senator*innen werden vom Präsidenten ernannt, die anderen 200 gewählt. Davon werden wiederum 100 nach Parteilisten gewählt und die anderen 100 in Wahlkreisen. Um diese Sitze bewarb sich nur eine von der ZdN dominierte Liste; die Mandate gingen vollständig dorthin. In 74 Wahlkreisen wird es am 8. und 9. September noch eine Stichwahl geben, die aber nahezu bedeutungslos ist. Denn zusammen mit den 100 vom Präsidenten ernannten Senator*innen hat al-Sisi nun sowohl in Parlament als auch im Senat sichere Mehrheiten hinter sich. Und damit die Möglichkeit, sich vor allem Verfassungsänderungen ohne Referendum absegnen zu lassen.

Seit seiner Machtübernahme regiert der 65-Jährige zunehmend autokratisch. Zehntausende Kritiker*innen, die meisten davon jung, wurden inhaftiert, oder gar in Massenprozessen zum Tode verurteilt. Dass er dennoch stets bemüht ist, seine Handlungen legitimieren zu lassen, hat vor allem mit ausländischem Druck zu tun: Die staatlichen Kassen sind leer. Man ist auf ausländische Investitionen, Kredite des Internationalen Währungsfonds angewiesen. Nachdem al- Sisi 2013 Präsident Mohammad Mursi abgesetzt und inhaftiert hatte, das Militär Proteste niederschlug, Tausende getötet wurden, hatten sich viele westliche Länder kurzzeitig vom neuen Machthaber abgewandt. Doch damals konnte er noch auf die Unterstützung von großen Teilen der Öffentlichkeit zählen, die ihn als starken Kämpfer gegen das Erstarken islamistischer Kräfte wie der Muslimbruderschaft sah, die vor allem auf dem Land viele Unterstützer*innen hat, und mit Mursi für einige Jahre den Präsidenten stellte.

Doch mit der Wirtschaftskrise und einer wachsenden Armut ist al-Sisi unter Druck geraten, und nichts zeigt das so deutlich wie die Wahlbeteiligung. Obwohl die ZdN, die über umfangreiche finanzielle Mittel zu verfügen scheint, mit Essenspaketen und anderen kleinen Aufmerksamkeiten lockte, machten sich nur wenige die Mühe eines Urnengangs. Hatten al-Sisi und seine politischen Unterstützer*innen schon bei vorherigen Wahlen und Referenden nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung begeistert, herrscht nun vor allem Abstinenz.

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