Weniger Basisdemokratie wagen

Die Führung der Grünen lehnt eine Urwahl des Spitzenkandidaten im kommenden Jahr ab

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Als die Grünen vor einigen Jahren damit begannen, ihre Spitzenkandidaten per Urwahl zu bestimmen, lobte die damalige Parteivorsitzende Claudia Roth das Verfahren über den grünen Klee. »Ich glaube, dass wir Maßstäbe setzen können, was innerparteiliche Demokratie betrifft«, sagte sie vor gut acht Jahren. Die Grünen erfanden den Slogan: »Die Basis ist Boss.«

Doch mittlerweile scheinen sie sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass der innerparteiliche Konkurrenzkampf auf diese Weise ausgetragen werden sollte. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte nun der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, dass die Entscheidung im kommenden Jahr stattdessen auf einem Bundesparteitag fallen wird.

Für die Spitzenkandidatur kommt derzeit nur einer der beiden Bundesvorsitzenden in Frage. Annalena Baerbock und Robert Habeck sollen sich untereinander einigen, wer den Vorzug erhält. Welche Maßstäbe dabei angesetzt werden, ist fraglich. Wenn man den Meinungsumfragen glauben kann, ist Habeck in der Bevölkerung beliebter als seine Parteikollegin. Andererseits betonen Politiker der Grünen immer wieder, wie wichtig es ist, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Das spricht für Baerbock.

In den vergangenen Jahren waren die Grünen mit einem quotierten Spitzenduo angetreten. Nun sehen sie Chancen auf die Kanzlerschaft und wollen nur mit einer Spitzenperson antreten. »Wir sind seit zwei Jahren zweitstärkste Kraft in Deutschland, und aus der Position heraus werden wir die Union fordern«, hatte Habeck kürzlich in der ARD gesagt. Das klingt jedoch sehr optimistisch. Denn der Rückstand auf CDU und CSU in den bundesweiten Umfragen beträgt rund 20 Prozentpunkte. Im Bundestag stellen die Grünen trotz wiederkehrender Höhenflüge in den Umfragen seit 15 Jahren durchgehend die kleinste Fraktion.

Bis zur Bundestagswahl kann noch viel passieren. Für die Grünen ging es immer dann bergab, wenn interne Konflikte auftraten. Nun scheinen sie aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Es ist so ruhig wie lange nicht mehr in der Partei. Auch der Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm hat bisher keine nennenswerten Reaktionen ausgelöst. Die Grünen wollen in den kommenden Monaten über das Papier beraten und es auf ihrem Karlsruher Bundesparteitag im November beschließen.

In dem Programmentwurf wird vor allem der Wunsch der Grünen deutlich, endlich wieder im Bund mitzuregieren. Es gibt darin einige Punkte, die noch diskutiert werden könnten. Einer ist die Haltung der Grünen zur Gentechnik. Die Partei will diese nicht mehr strikt ablehnen. Im Entwurf heißt es: »Nicht die Technologie, sondern ihre Chancen, Risiken und Folgen stehen im Zentrum.«

Spannend wird auch sein, ob alle in der Partei die unkritische Haltung gegenüber der Nato und der Militarisierung der Europäischen Union teilen, die im Programmentwurf zum Ausdruck kommt. Dort heißt es, dass »mit einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit und Koordinierung innerhalb der EU und mit Großbritannien europäische strategische Interessen, gerade auch in der Nato, geschlossen und durchsetzungsstärker vertreten werden können«. Das nordatlantische Militärbündnis wird zudem als »unverzichtbarer und Renationalisierung entgegenwirkender Bestandteil der europäischen Sicherheitsarchitektur sowie der transatlantischen Beziehungen« gelobt.

Anders als FDP, SPD und Linkspartei wollen sich die Spitzenpolitiker der Grünen nicht an öffentlichen Debatten über mögliche Bündnisse nach der Bundestagswahl beteiligen. Das ist durchaus geschickt. Denn die Grünen brauchen sowohl die Unterstützung derjenigen, die Schwarz-Grün präferieren als auch die Wähler, die sich ein Zusammengehen mit SPD und Linkspartei wünschen.

Die Grünen hätten bei Verhandlungen über Rot-Rot-Grün aber viel Gesprächsbedarf mit der Linkspartei, die Auslandseinsätze der Bundeswehr bislang ablehnt. Auch zwischen Sozialdemokraten und Grünen gibt es Differenzen in der Außenpolitik. Insbesondere im Umgang mit Russland verfolgen die beiden Parteien unterschiedliche Strategien. Während die SPD in der Regierung in Moskau einen geostrategischen Konkurrenten sieht, mit dem man aber auch Geschäfte machen sollte, wollen viele Grüne die Daumenschrauben enger anziehen. In der Partei sitzen viele Gegner der Gasleitung Nord Stream 2, die von Russland über die Ostsee nach Deutschland führt und russisches Erdgas transportiert. Die Bundesregierung hatte hingegen mit Beteiligung der SPD das Projekt vorangetrieben.

Die Grünen schossen in den Umfragen immer dann nach oben, wenn innerparteilich Ruhe herrschte und ihre zentralen Themen ganz oben auf der politischen Tagesordnung standen. Vor einigen Jahren setzten viele Wähler nach dem GAU in Fukushima ihre Hoffnungen in die Partei. Zuletzt bescherten die Fridays-for-Future-Demonstrationen den Grünen Zulauf. Nicht nur die bundesweit bekannte Klimaaktivistin Luisa Neubauer besitzt ein Parteibuch.

Doch in der Coronakrise sind die großen Demonstrationen zunächst gestoppt worden. Es bleibt abzuwarten, wie viele Menschen Fridays for Future beim geplanten globalen Klimastreik am 25. September mobilisieren kann. Bundesweite Umfragen legen nahe, dass die Klimakrise von den Bürgern nicht mehr als das größte Problem wahrgenommen wird, sondern alles, was mit der Ausbreitung des Coronavirus zu tun hat. Die Bundesregierung hatte zudem kürzlich verkündet, dass das Erreichen des Klimaschutzziels für dieses Jahr in Reichweite sei. Ursachen sind die Einschränkungen während der Coronakrise. Kommentar Seite 8

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