Sichtbar unsichtbar

US-Sportler hoffen, dass ihre Boykotte endlich einen sozialen Wandel im Land anstoßen.

Wie wird Protest sichtbarer? Wie wird er wirksamer? Reichen Zeichen und Gesten, oder muss mehr passieren? Nach zwei Boykotttagen, die den US-Sport in seinen Grundfesten erschüttert haben, stellen sich langsam Fragen, wie es nun weitergehen soll, und ob ein Streik von Profiathleten wirklich die Gesellschaft ändern kann.

Erneut hat ein Handyvideo das Land und besonders Afroamerikaner in Aufruhr versetzt. Am vergangenen Wochenende hatte ein weißer Polizist in Kenosha einen unbewaffneten Schwarzen in den Rücken geschossen. Sieben Mal. Das Opfer Jacob Blake ist vielleicht für den Rest seines Lebens gelähmt. Die Erinnerungen an George Floyds Mord durch einen weißen Polizisten wurden wieder wach. Im Sommer hatte es danach weltweite Proteste gegeben, auch im Sport. Überall gingen Menschen auf die Straße und Athleten auf die Knie.

Besonders Mitglieder der von schwarzen Spielern dominierten Basketballliga NBA organisierten während der Coronapause überall im Land Demonstrationen - bis sie in die Blase nach Florida »beordert« wurden, in der die NBA ihre Saison beenden will. Die Spieler sagten erst zu, als ihnen erlaubt wurde, auch dort und live im Fernsehen gegen Polizeibrutalität und für soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren. Fast alle knieten fortan bei der Hymne, trugen Slogans auf Shirts und Schuhen. Der Schriftzug »Black Lives Matter« steht sogar bei jedem Spiel zentral auf dem Spielfeld aufgedruckt. Die Reaktionen der Spieler nach den neuesten Schüssen auf Jacob Blake waren also erwartbar: Das alles hat nichts gebracht. Wir werden weiterhin erschossen.

Viele Spieler wollen raus aus der Blase und rauf auf die Straße. Sie fühlen sich gefangen, wollen mehr tun, als nur die Faust hochzurecken, wenn die Hymne abgespielt wird. Am Mittwoch machten die Milwaukee Bucks ernst. Mitten in den Playoffs weigerten sich die Titelanwärter anzutreten und blieben in der Kabine. Seitdem wurde in der NBA nicht mehr gespielt, weil sich andere Mannschaften dem Protest anschlossen. Die Boykottwelle schwappte über zu anderen Sportarten: Fußball, Baseball, Tennis, Football und seit Donnerstagabend sogar zum Eishockey, das fast ausschließlich von Weißen gespielt wird. Auch in der NHL wurden die Playoffs unterbrochen. »Manche Dinge sind größer als Sport. Irgendwann kommt die Zeit, wenn man Worten Taten folgen lassen muss«, fasste Nazem Kadri, Stürmer der Colorado Avalanche, die sportartenübergreifende Stimmung im Land zusammen.

Ein Problem ist die Sichtbarkeit eines Protests, wenn Spieler nur in der Kabine bleiben, wo keine Kameras sind. Die Baseballteams der New York Mets und der Miami Marlins lösten es am Donnerstag auf eindrucksvolle Weise. Sie kamen ins Stadion, spielten sich ein, doch direkt vor dem ersten Wurf hielten sie für 42 Sekunden inne und verließen das Spielfeld wieder. Die Fernsehsender waren quasi gezwungen, die Aktion zu übertragen, bei der am Ende nur ein »Black Lives Matter«-Shirt auf dem Schlagmal übrig blieb. Die 42 war Jackie Robinsons Trikotnummer. 1947 war er der erste Schwarze im Profibaseball, nachdem dort die 63 Jahre anhaltende Rassentrennung aufgehoben wurde. Die 42 ist Robinson zu Ehren die einzige Nummer, die ligaweit nicht mehr vergeben wird. Und an diesem Freitag feierte die MLB den »Jackie Robinson Day«.

Von konservativen Politikern werden die Sportler für ihren Aktivismus kritisiert. »Schön für sie, dass sie es sich leisten können, einen Tag nicht zu arbeiten«, sagte Jared Kushner, Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, süffisant. Hunderte Baseballer spendeten daraufhin ihr Gehalt für ausgefallene Spiele an Initiativen, die schwarze Kinder in armen Gegenden unterstützen. Trump selbst behauptete, er wisse nicht viel vom Protest in der NBA. »Aber die Liga ist zur politischen Organisation geworden. Das ist nicht gut für den Sport. Die Einschaltquoten sind gesunken«, so Trump, der weder Jacob Blake noch die Boykottwelle in seiner Parteitagsrede am Donnerstagabend erwähnte.

Erstmals ging ein Boykott direkt von den Sportlern aus. Doch sie müssen nun auch die Fragen danach beantworten, wie es weitergeht und was sie genau erreichen wollen. Miamis Trainer Don Mattingly forderte die ganze Sportindustrie auf, nicht nachzulassen: »Das darf nicht nur ein Moment sein, es muss zu einer Bewegung werden.« Allerdings scheinen die Ligen an diesem Wochenende schon wieder weiterspielen zu wollen.

Die Athleten verlangen von ihren Klubbesitzern mehr Engagement. Die hätten schließlich nicht nur Millionen oder gar Milliarden Dollar auf dem Konto, sondern auch die Nummern einflussreicher Politiker im Handy. Viele Bosse, besonders im Football und Baseball, sind Spender für die Republikaner und Präsident Trump. Sie sollen jetzt Druck ausüben. Wie schwierig es wird, sie davon zu überzeugen, zeigte ein Interview mit Dell Hansen, Boss des Fußballklubs Real Salt Lake in Utah, am Mittwoch.

Statt sich hinter seine streikenden Spieler zu stellen, kritisierte er sie dafür, nationale Politik zu betreiben und respektlos gegenüber der eigenen Gemeinde in Salt Lake City zu sein. Shaka Hislop, langjähriger Torhüter des FC Dallas, ärgerte sich über diesen Kommentar beim TV-Sender ESPN: »Seit Jahren wollen sie uns Schwarzen vorschreiben, wie wir reagieren sollen, wie wir fühlen sollen.« Damit sei jetzt Schluss.

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