Coronavirus in Textilwerkstätten

In der englischen Stadt Leicester wird Billigmode unter katastrophalen Bedingungen hergestellt

  • Kevin Trublet, Leicester
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutsche Schlachthöfe, spanische Erdbeerfelder, britische Textilfabriken: Sie alle haben sich in der Corona-Pandemie zu Brutstätten für das Virus entwickelt. Als Grund dafür gelten die teils katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen der zumeist ausländischen Arbeiter. Im nordenglischen Leicester waren die rund 1500 Textil-Werkstätten in den Fokus geraten. In der 355 000-Einwohner-Stadt wird billige Massenware produziert, die auch in Deutschland verkauft wird.

Grund war ein massiver Corona-Ausbruch in der Region, deren Ursprung Kritiker in den Fabriken sehen. Fast 1000 neue Coronafälle binnen zwei Wochen wurden verzeichnet, fast zehn aller Infektionen landesweit. Fabrikschließungen erfolgten offenbar reichlich spät. Als die Behörden im Juli die Corona-Einschränkungen bereits verschärften, berichteten Augenzeugen noch von überfüllten Ateliers. Auf dem Höhepunkt der Pandemie seien mehrere Beschäftigte zwar positiv auf das Coronavirus getestet worden, sagt Meg Lewis, Kampagnenchefin der Nichtregierungsorganisation »Labour behind the label«. Die Infizierten seien dennoch dazu gedrängt worden, weiter zur Arbeit zu gehen.

Bereits vor der Pandemie war die Lage der Beschäftigten vielfach prekär. »Die meisten Fabriken von Leicester bestehen aus kleinen Werkstätten, die oft in heruntergekommen Gebäuden untergebracht sind«, heißt es in einem Bericht der Organisation von Ende Juni. In die Sicherheit der riesigen Gebäude oder in ein gutes Belüftungssystem investierten die Eigentümer kaum.

Die Arbeiter stellen »Fast Fashion« her - Kleidung, die nur kurze Zeit getragen wird. »Labour behind the label« schätzt, dass 75 bis 80 Prozent der Textilproduktion in Leicester für den britischen Modekonzern Boohoo erfolgen. Recherchen britischer Medien und Aktivisten zu den Arbeitsbedingungen sorgten landesweit für Entsetzen. Die Löhne liegen demnach mitunter bei zwei bis drei Pfund pro Stunde, deutlich unter dem Mindestlohn von 8,27 Pfund (9,66 Euro). Der Kleidungsriese Boohoo zeigte sich angesichts der Enthüllungen »entsetzt« und kündigte eine Untersuchung an. Für Aktivistin Meg Lewis reicht das nicht aus: Sie fordert ein anderes Geschäftsmodell, weg von der Billigmode.

Nicht alle sehen indes den Grund für das lokale Aufflammen der Pandemie in der Arbeitsweise der Textilfabriken von Leicester. Stadtrat Adam Clarke von der sozialdemokratischen Labour-Partei etwa sagte, Schuld seien vielmehr die Bevölkerungsdichte, die Armut und der hohe Anteil an Minderheiten, die häufiger von Corona betroffen seien. »Ein schlechter Cocktail«, so Clarke.

Textilarbeiter in Leicester schweigen dazu. Eine junge Frau asiatischer Herkunft sagt, sie spreche kein Englisch, und geht eilig weiter. »Ich kann darüber nicht sprechen«, sagt ein junger Mann. Er wechselt ein paar Worte in einer fremden Sprache mit seinem Kollegen, dann sagt er: »zehn Pfund pro Stunde.«

Einer, der es wissen muss, widerspricht der Angabe: Ali, der in Wirklichkeit anders heißt, lange eine Kleidungswerkstatt leitete und jetzt Fahrer bei Uber ist. Ein Stundenlohn von drei bis vier Pfund sei die Regel. Deshalb habe er den Job an den Nagel gehängt. Mittlerweile gebe es nur noch »illegale Arbeit« unter den 30 Beschäftigten seiner früheren Werkstätte, »Inder, Bangladescher«. Für Meg Lewis von »Labour behind the label« sind deshalb Tür und Tor für Ausbeutung geöffnet. Sie spricht von »moderner Sklaverei«.

Und die Behörden? Von Anfang Mai bis Mitte Juni nahmen die Gesundheitsbehörden 51 Inspektionen in den Fabriken vor. Sie stellten lediglich neun Verstöße fest. Und eine weitergehende Untersuchung wurde nicht eingeleitet. AFP/nd

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