Polnischer Befreier von Berlin

98-jähriger Oberst Josef Kolesnicki enthüllt Denkzeichen am Ernst-Reuter-Platz

»Es tut uns leid, was dieser Stadt angetan werden musste bei der Befreiung vom Hitlerfaschismus«, sagt der polnische Oberst Josef Kolesnicki am Dienstag in Berlin. 98 Jahre ist er inzwischen alt und gehörte 1945 zu den Soldaten der 1. Polnischen Armee, die gemeinsam mit sowjetischen Truppen in der Schlacht um Berlin im Bezirk Charlottenburg und im nahen Tiergarten kämpften. Er habe sich bemüht, als Soldat eines Artilleriebataillons mit seinem Geschütz militärische Ziele zu treffen und zivile Opfer zu vermeiden, betont Kolesnicki.

Er enthüllt ein Denkzeichen am Ernst-Reuter-Platz, das an die historischen Ereignisse erinnert. »Wir sind sehr froh«, sagt er im Namen auch anderer Veteranen, »dass es in Berlin zu dieser Ehrung kommt, in einer Stadt, die wieder stolz sein kann, wie schön sie ist.« Vielen der rund 150 Zuhörern verschlägt es den Atem. Jeder weiß doch, dass Warschau 1944 von den Faschisten dem Erdboden gleich gemacht worden war und unter großen Anstrengungen neu aufgebaut werden musste. Das Denkzeichen hält in deutscher, polnischer, englischer und russischer Sprache fest, dass die Gebäude der Technischen Universität, die damals noch Technische Hochschule hieß, zu den am heftigsten umkämpften Stellungen gehörten, die auf dem Weg zur Reichskanzlei mit großen Verlusten durchbrochen werden mussten. Darum erinnern die Veteranen auch an die gefallenen Kameraden, die den Sieg und den Frieden nicht mehr erleben durften.

Was damals geschehen ist, dürfe nicht vergessen werden, mahnt Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD). »Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg«, sagt Naumann - und Oberst Kolesnicki nickt. Initiator des Deckzeichens ist Kamil Majchrzak von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Am Dienstag übersetzt er alle Reden, nur Botschafter Andrzej Przyłębski erledigt das selbst. Przyłębski kann sich nicht verkneifen zu erwähnen, dass die sowjetischen Waffenbrüder von einst »nicht immer einen guten Ruf« hatten und dass die polnische Volksarmee auch gegen Untergrundkämpfer vorgegangen sei, die der bürgerlichen Exilregierung in London die Treue hielten. Przyłębski nennt sie die »legitime Regierung« Polens. In dieser Logik werden Männer wie Kolesnicki zuweilen als Verräter angesehen. Das Thema wird in ihrer Heimat kontrovers diskutiert. Immerhin findet der Botschafter einen versöhnlichen Abschluss, indem er seinen Präsidenten Andrzej Duda zitiert, der allen einfachen Soldaten bescheinigte, dass sie für die Heimat gekämpft haben - ob nun zusammen mit Briten und Amerikanern oder an der Seite der sowjetischen Truppen.

Für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ist das alles keine Frage. Mitglieder halten Schilder hoch, auf denen steht: »Dziękujemy za wyzwolenie!« (Danke für die Befreiung). Vera Dehle-Thälmann - ihr Großvater, der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, wurde im Konzentrationslager Buchenwald ermordet - erinnert daran, dass polnische Soldaten nördlich von Berlin das KZ Sachsenhausen befreiten, bevor sie zum Sturm auf Berlin antraten. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (Linke) ist ebenfalls gekommen und freut sich, dass am 1. September, dem 81. Jahrestag des Überfalls auf Polen, dieses Denkzeichen eingeweiht werden kann - nachdem um den 8. Mai herum, zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, viele geplante Veranstaltungen wegen der Coronakrise ausfallen mussten.

Am Dienstagmorgen sind zunächst Blumen am Denkmal des polnischen Soldaten im Volkspark Friedrichhain niedergelegt worden. Dieses Denkmal im Ostteil Berlins wurde bereits 1972 eingeweiht.

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