Abgehängt und verfolgt

In Irland begünstigt die Wohnungsnot Hass auf das »fahrende Volk«

  • Dieter Reinisch
  • Lesedauer: 3 Min.

In der beliebten Fernsehserie »Peaky Blinders« führt Tommy, der Patriarch des Shelby-Clans, ein glamouröses Leben. Durch Kriminalität, brutale Kontrolle von migrantischen Arbeiterghettos, Drogenhandel und Korruption baut er sich in der Zwischenkriegszeit ein lukratives Empire in der mittelenglischen Stadt Birmingham auf.

Oft werden die kriminellen Protagonisten in der gleichnamigen Fernsehserie als »Zigeuner« bezeichnet. Tatsächlich sind sie aus Irland eingewanderte »Traveller«. Die irischen Traveller, im Deutschen oft als »fahrendes Volk« bezeichnet, sind genetisch nicht mit den Roma und Sinti oder den in Deutschland ansässigen Jenischen verwandt.

Ihre Darstellung ist nur einer von vielen - gewollten oder ungewollten - historischen Fehltritten der Drehbuchschreiber. In der Popkultur sind vermeintlich kriminelle, gewaltbereite irische Migranten und Traveller ein beliebtes Thema, wie in Martin Scorseses »Gangs of New York«. Sie werden als coole Draufgänger dargestellt. Die Realität sieht anders aus. Bis heute leben Traveller in Irland und Großbritannien von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen und durch Gesetzgebung diskriminiert in suburbanen Elendsvierteln. Vereinzelte Integrationsversuche scheitern oft aufgrund rassistischer Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft. In der westirischen Stadt Galway kam es Ende August zu einem traurigen Höhepunkt. Ein Haus, das von der lokalen Stadtverwaltung angeworben wurde, um eine Traveller-Familie anzusiedeln, wurde in Brand gesetzt.

Obwohl die Polizei, An Garda Síochána, nicht über das Motiv spekulieren möchte, gehen Politiker und Anrainer von einem rassistisch motivierten Anschlag aus. Im Haus wurden Brandbeschleuniger gefunden. Das Haus nahe des Flughafens war erst ein paar Monate zuvor von der Stadtverwaltung erworben worden. In Irland herrscht seit dem Platzen der Immobilienblase 2008 enorme Wohnungsnot. Allein in Dublin sind Zehntausende obdachlos. In Galway mit seinen 80 000 Einwohnern stehen 3700 Personen auf der Warteliste für öffentlichen Wohnraum. Sozialen Wohnbau gibt es kaum, gleichzeitig verwahrlosen Dutzende Geisterstädte aufgrund von Immobilienspekulation.

Galway versucht nun, für bedürftige Familien Häuser anzukaufen. Das Haus im Stadtteil Carnmore, in das eine Traveller-Familie einziehen sollte, fiel am 31. August einem Anschlag zum Opfer. Bereits Tage zuvor waren im Haus tätige Handwerker bedroht worden.

Margaret O’Riada vom Galway Traveller Movement sprach von einem »Angriff auf die gesamte Gemeinschaft«. Der ehemalige Bürgermeister und jetzige Stadtrat, Noel Larkin, betonte: »Bereits in den letzten Monaten gab es Spannungen hier. Das Problem ist, dass die Anrainer nicht konsultiert wurden, ob Traveller hier einziehen sollen.« Dem widerspricht O’Riada: »Bei keiner anderen Familie werden Anrainer befragt, warum soll es bei Travellern notwendig sein?«

Die Traveller entstanden als Volksgruppe während der Kolonialisierung Irlands, als durch den englischen Siedlerkolonialismus im 17. Jahrhundert Teile der Bevölkerung von ihren Ländereien vertrieben wurden, und begannen ein nomadisches Leben zu führen.

Heute zählen sich 30 000 Personen zu den Travellers. Nach der Unabhängigkeit der späteren Republik Irland 1921 setzte eine staatliche Diskriminierung ein. Vielen Travellern blieb nichts als die Kriminalität, um ihr Überleben zu sichern. Obwohl ihr Bevölkerungsanteil bei 0,6 Prozent liegt, sind 22 Prozent der weiblichen und 15 Prozent der männlichen Gefängnisinsassen Traveller. Wie sehr die Reisenden in den oberen Schichten hinterherhängen, zeigt dieses Beispiel: Erst im Januar 2019 erhielt Sindy Joyce als erste Travellerin einen Doktortitel an einer irischen Hochschule.

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