Glaube an den Wandel

Die evangelische Kirche ist noch immer größtenteils weiß und männlich - Mariam ist das nicht. Sie will Pastorin werden und vieles anders machen.

  • Anna-Lena Schlitt
  • Lesedauer: 7 Min.

Die angehende Pastorin wirft sich in Pose. »In der Bibel gibt es so viele empowernde Frauen«, sagt sie und imitiert eine Marien-Darstellung - inmitten eines Berliner Cafés, das sie für unser Treffen vorgeschlagen hat. Keine klassische Maria mit demütig gesenktem Blick, sondern eine selbstbewusste Frau. »Man sieht ihren Körper, ihren Busen«, erklärt sie und stemmt zur Illustration selbst die Hände in die Seiten. »Das ist eine Frau, die einfach da ist, die mutig ist!«

Mariam, ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, ist Anfang 30 und will evangelische Pastorin werden. Getauft ist sie nicht. Noch nicht. Ihre Mutter ist gläubige Muslima, ihr Vater hat mit Religion nicht viel am Hut. Sie erinnert sich, dass in ihrer Kindheit Zuhause viel gebetet wurde - und gefastet. »Im islamischen Sinne«, ergänzt sie, denn ihre Familie vereint Christentum und Islam seit Generationen.

Mariams Großvater lebt in einem kleinen Dorf im Libanon. Auch ihre Mutter ist dort aufgewachsen. Bevor der Bürgerkrieg alles veränderte, lebten Christ*innen und Muslim*innen in dem Dorf friedlich miteinander: Sie verstehen sich als Gemeinschaft, begehen große und kleine Feiertage gemeinsam - Muslim*innen besuchen christliche Gottesdienste, Christ*innen kommen zum Freitagsgebet in die Moschee. Es ist diese Verbundenheit, das Gefühl eines »Wir sind eins«, wie Mariam es nennt, das ihren Großvater überzeugt, seine Söhne taufen und seine Töchter segnen zu lassen - darunter auch Mariams Mutter. Die Familie wird Teil beider Glaubensgemeinschaften. Bis heute sieht Mariam darin keinen Widerspruch, vielmehr versteht sie Interreligiosität als Bereicherung.

Dann schlägt die Stimmung im Land um: Ein Bürgerkrieg bricht aus - die eine Front muslimischen, die andere Front christlichen Glaubens. »Man musste sich plötzlich entscheiden«, erzählt Mariam. Die Zeit der interreligiösen Gemeinschaft ist vorbei. Viele Christ*innen zogen damals in christlich geprägte Teile des Libanons - oder flohen außer Landes. Mariams Familie entscheidet sich für den Islam - und bleibt. Zurück zum Islam konvertieren mussten sie nicht, erklärt Mariam. »Muslim*a ist man von Geburt an.«

Mariams Mutter verlässt den Libanon. Gemeinsam mit ihrem Mann flieht sie nach Deutschland - und landet in Ostwestfalen-Lippe. Jahre später macht Mariam in diesem nordrhein-westfälischen Dorf erste Bekanntschaft mit dem christlichen Glauben: Von der Taufe bis zur Hochzeit ist dieser fest im Alltag der Dorfbewohner*innen verankert.

Als nicht getaufte Araberin wird sie vom evangelischen Religionsunterricht ausgeschlossen, muss den Raum verlassen - ohne, dass jemals jemand sie oder ihre Eltern dazu befragt hätte. Notgedrungen beschließt sie, ihren Fragen selbst auf den Grund zu gehen. Im Koran stößt sie auf Jesus: »Der kommt viel häufiger vor als Mohammed.« Sie recherchiert den christlichen Teil der Jesu-Historie - und ist fasziniert.

Es ist diese Faszination, die Mariam durch den Islam zum christlichen Glauben führt - und sie Jahre später dazu bewegt, evangelische Theologie zu studieren. Nach dem Abitur schreibt sie sich an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ein - anfangs noch mit dem Nebenfach Islamwissenschaften. Doch das hat nicht gepasst. Einige Nebenfachwechsel später steht ihre Entscheidung fest: Sie will Pastorin werden. Nur ein paar Seminare fehlen noch, dann endet ihr Studium und ihr zweijähriges Vikariat. Die praktische Ausbildung zur Pastorin beginnt.

Realität trifft Idealismus

Lange ringt sie mit sich. Denn es gibt ein Problem: »Wie kann ich einer Kirche beitreten, die manchmal intolerant ist?«, fragt Mariam. Sie erzählt, wie schwer es ist, als nicht weiße Person in einer Gemeinde angenommen zu werden, seinen Glauben leben zu können. Sie kennt die Vorurteile, die Sprüche, das Gefühl der Ausgeschlossenheit. Viele befreundete BPoC (Black and People of Color) -Pastor*innen berichten ihr von Rassismus innerhalb der Kirche - ausgehend von der Kirche. »Da gibt es viele Geschichten, die nicht gut ausgegangen sind«, sagt sie. Und es gibt sie zuhauf, die Geschichten von Pastor*innen of Color, die ihre Gemeinde verlassen, weil sie den Anfeindungen nicht mehr standhalten; die Geschichten von Gläubigen, die aus der Kirche austreten, weil sie sich nicht akzeptiert fühlen. Mariams Gesicht ist wie versteinert. »Rassismus hat in der Kirche nichts zu suchen!«, sagt sie mit Nachdruck. »Ich möchte, dass sich nicht nur weiße und heterosexuelle Menschen dort wohlfühlen können.«

Der Wille zu verändern, es besser zu machen, hat sie schließlich überzeugt: »Als Pastorin kann ich zwar nicht die gesamte Kirche verändern, aber vielleicht die Gemeinde, in der ich bin.« Als größtes Problem sieht sie die fehlende Kommunikation innerhalb der Kirche. In ihrer Gemeinde soll es deshalb neben Gottesdiensten auch Seminare und Workshops geben. Raum, um sich kennenzulernen, auszutauschen und voneinander zu lernen - innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Ihre Kirche will sie mit Menschen unterschiedlichsten Glaubens teilen - gemeinsam mit ihnen Gottesdienst feiern. »Wäre das nicht schön«, fragt sie, »so zu durchmischen?« Alle sollen sich willkommen fühlen - »alle, außer Nazis!«

Mariam, der Name bedeutet »die Widerspenstige« oder »die Ungezähmte«. Und Widerstand ist bei Mariam Programm. Bereits mit 22 kandidiert sie bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen für die Linke. Schon damals ist sie »super idealistisch«, will was verändern. Sie kämpft gegen die Diskriminierung von Frauen, BPoC und der LGBTIQ+-Community (Lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen) - will ihnen eine Stimme geben: »Wir erleben gerade gesamtgesellschaftlich, dass Menschen einfach nicht zugehört wird, und das Problem sehe ich auch in der Kirche.«

Sie hat, auch wenn sich ihr Engagement heute andere Bahnen bricht, nie einen Haken hinter die Politik gesetzt. »Das kann ich mir auch nicht erlauben«, sagt sie mit Blick auf ihre Rassismuserfahrungen. »Dieses Land macht mich wütend. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit Rassismus konfrontiert werde. Das ist ein Teil meines Daseins.« In ihrer Stimme liegt die Bitterkeit einer, die schon lange kämpft. Manchmal ist sie so wütend, dass sie nur noch weinen kann.

Besonders schlimm waren die letzten Jahre in Münster. Sätze wie »Geh wieder zurück in dein Land« sind an Tagesordnung. Arabisch spricht sie nur mit wenigen engen Freunden. Auf der Straße traut sie sich das nicht. Zu groß ist die Sorge vor rassistischen Anfeindungen. Sie fühlt sich »als eine von wenigen« in einer »null diversen Stadt«. »Ich hatte das Gefühl, ich verliere mich total. Ich verliere ein Stück meiner Identität, ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin«, erzählt sie. Erst als sie im letzten Sommer nach Berlin zieht, wird ihr klar, was fehlt: »Ich hatte null Draht zu meiner Herkunft, zu meiner Hautfarbe.« Die Stadt und ihre Menschen haben ihr geholfen, wieder zu sich zu finden.

Streiten für Harmonie

Eigentlich müsste Mariam an der Welt verzweifeln. Aber statt in Resignation zu verharren, wird sie aktiv - erst in der Politik, dann in der Kirche. »Ich war schon immer eine Macherin - das habe ich von meiner Mutter.« Sie erzählt von der jungen Frau, die schwanger aus dem Libanon nach Deutschland flieht und sich, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, durchschlägt. Einer Frau, die drei Kinder großzieht und Vollzeit arbeitet, sich zweimal selbstständig macht. »Sie ist eine wahnsinnig starke Frau. Aber manchmal macht sie mich wahnsinnig.« Sie lacht und berichtet von nicht enden wollenden Streitgesprächen. »Ich liebe das.«

Streiten ist für Mariam nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil: Sie sucht die Auseinandersetzung, die hitzigen Diskussionen. Das gilt auch - und insbesondere - in Glaubensfragen. »Ich lerne dadurch super viel dazu«, sagt sie. Und während sie ein Plädoyer für das Streiten hält, wird klar: Mariam streitet nicht gegen, sondern für etwas. Für Verständnis. Für Offenheit. Für Menschlichkeit. Mariam streitet, um endlich ankommen zu dürfen. Sie ist eine Rastlose, die nicht ruht, ehe das Ziel erreicht ist: »Ich werde die LGBTIQ+-Community supporten bis zum Erbrechen - versprochen!« Der Nachdruck, mit dem sie das sagt, lässt daran keinen Zweifel.

Kraft und Antrieb für ihr Engagement schöpft sie aus ihrem Glauben. Ihre Beziehung zu Gott habe etwas wahnsinnig Inniges, erzählt Mariam: »Ich kommuniziere fast täglich mit Gott. Es ist, als ob ich mich mit einer guten Freundin unterhalten würde.«

Jahrelang suchte Mariam nach der perfekten Kirche, um sich taufen zu lassen. Alles soll stimmen. Vor ein paar Wochen hat sie endlich die passende gefunden, in einer Gemeinde, in der sie bleiben will. Und im Herbst wird sie getauft. »Wenn ich an meinen Glauben denke, fühle ich mich total überwältigt - irgendwie angekommen«, sagt sie, und in ihrer Stimme liegt plötzlich wieder Ruhe.

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