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  • Schwulenberatung in Berlin-Schöneberg

Brüder gegen Schwestern

Lesbeninitiative ausgebootet - Baustart für Wohnhaus der Schwulenberatung

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Michael Müller freut sich. Ihm sei es wichtig, allen Beteiligten ein »großes Dankeschön« auszusprechen, sagt Berlins Regierender Bürgermeister am Freitag beim ersten Spatenstich für ein neues Wohn- und Bürohaus der Schwulenberatung am Tempelhofer Weg in Schöneberg. Der Termin auf einem kleinen Teilstück des »Schöneberger Linse« genannten Entwicklungsgebietes sei ihm »auch persönlich wichtig«, so der SPD-Politiker. Schon der Name des Bauvorhabens - »Lebensort Vielfalt« - drücke »wahnsinnig viel aus«.

Nun ja, über Letzteres lässt sich trefflich streiten. Tatsächlich richtet sich die Schwulenberatung mit ihrem Projekt aber nicht allein an homosexuelle Männer, sondern ausdrücklich auch an Lesben, trans- und intersexuelle Menschen. Neben 69 Wohnungen sollen dabei auf dem »Lebensort«-Areal in Sichtweite zum Bahnhof Südkreuz auch therapeutische Wohngemeinschaften, eine altersgerechte Pflege-WG, eine Kita für 45 Kinder sowie neue Büroräume der Schwulenberatung entstehen. Bis September 2022 will man das Gesamtprojekt abgeschlossen haben.

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Lange Warteliste für Wohnungen

Die Nachfrage nach den Wohnungen sei außerordentlich groß, sagt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin. Demnach stehen weit mehr als 400 Interessent*innen auf der Warteliste. Fast die Hälfte der Wohnungen entsteht im geförderten Wohnungsbau und »soll zu Nettokaltmieten von 6,50 oder 8,50 Euro angeboten werden«, so de Groot. Finanziert wird der Bau »mithilfe unterschiedlicher Stiftungen, Kredite, Spenden und Eigenmitteln«.

Nur sehr nebenbei erinnern sowohl Michael Müller als auch de Groot in ihren Festansprachen auch daran, dass die Planungen für das Projekt in der Vergangenheit bisweilen alles andere als konfliktfrei liefen. »Es wurde immer mal schwierig, um es mal so auszudrücken«, sagt Müller. »Der Weg war steinig und lang. Aber darüber will ich heute nicht berichten«, sagt de Groot - und berichtet »nd« dann doch über das »unglückliche« Gezerre im Vorfeld der Bauplanungen.

Um die Brachfläche, die vor gut zwei Jahren von der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) nach dem sogenannten Konzeptverfahren vergeben wurde, hatte sich nämlich nicht nur die Schwulenberatung, sondern unter anderem auch der Verein Rad und Tat - Offene Initiative Lesbischer Frauen (RuT) beworben. Auch RuT wollte auf dem Gelände ein altersgerechtes Wohnprojekt für die queere Community umsetzen, in dem Fall nur für Lesben.

Hohe Kosten für die Bewerbung

Um es kurz zu machen: Schwulenberatung und RuT investierten beide jeweils um die 100 000 Euro in die Bewerbung um das »bessere« Konzept. Die Lesbeninitiative gewann zunächst die Ausschreibung, dagegen ging die Schwulenberatung juristisch vor. Der Streit eskalierte. Zwischendurch besetzten lesbische Aktivistinnen aus Protest sogar die Räume der Schwulenberatung an der Wilhelmstraße in Kreuzberg. Aus dem daraufhin nochmals neu aufgerollten Grundstückskampf ging schließlich die finanziell und personell um ein Vielfaches bessergestellte Schwulenberatung als Sieger vom Platz.

Noch heute, sagt de Groot, ärgere er sich darüber, dass Schwulenberatung und Lesbeninitiative damals über das Konzeptverfahren gegeneinander ausgespielt worden seien. Auch habe das viel zu langwierige Verfahren die Kosten in die Höhe getrieben. So wurden die Gesamtkosten für den »Lebensort Vielfalt« ursprünglich auf 17 Millionen Euro veranschlagt, inzwischen seien es auch aufgrund der generell gestiegenen Baupreise 25 Millionen Euro.

An dieser Preisexplosion hat der Grundstückspreis zwar nur einen geringen Anteil. Allerdings habe dieses Detail im schwul-lesbischen Konkurrenzkampf am Ende eine »ausschlaggebende« Rolle gespielt, glaubt de Groot. Eigentlich habe der Preis für das Areal am Südkreuz bei 2,8 Millionen Euro gelegen. Die Schwulenberatung sagte letztlich über drei Millionen zu, und somit mehr als die Mitbewerberin, berichtet de Groot offen gegenüber »nd«. Er fügt hinzu, »dass RuT kein schlechteres Konzept abgegeben hat als wir«. Deutlicher formuliert: Es ging der BIM nicht um Konzepte, sondern darum, das Maximum beim Grundstückspreis herauszuholen.

Land will Grundstücke anders vergeben

Mittlerweile hat sich der landeseigene Immobiliendienstleister von dem Konzeptverfahren, wie es am Südkreuz durchgezogen wurde, verabschiedet. Man habe hierfür »viel Kritik erfahren«, teilte das Unternehmen Anfang des Jahres mit. Zu Recht, sagt de Groot.

Die Lesbeninitiative ist derweil im vergangenen Jahr ihrem Ziel, das bundesweit erste Wohnprojekt für ältere lesbische Frauen zu realisieren, immerhin einen Schritt nähergekommen. So soll RuT nun an der Berolinastraße unweit des Alexanderplatzes in Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte ein eigenes inklusives Haus bekommen. Wie Jutta Brambach von RuT berichtet, tritt man derzeit aber auf der Stelle, wobei »Auseinandersetzungen mit dem Stadtplanungsamt« keine unwesentliche Rolle spielen. Der für Ende des Jahres geplante Baustart musste denn auch auf 2022 verschoben werden.

Zum Streit um das am Freitag beklatschte Areal und darüber hinaus sagt Brambach nur: »Der gesamte Prozess zur Realisierung des Lesben-Wohn- und Kulturzentrums, der jetzt über zehn Jahre andauert und wozu auch unsere Erfahrungen rund um das Ausschreibungsverfahren Schöneberger Linse gehören, ist Ausdruck von struktureller Diskriminierung gegenüber Frauen und Ausdruck von Macht- und Herrschaftsverhältnissen.«

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