Die Hoffnungen liegen auf China

In Peking feiert sich die Branche auf der ersten Automesse seit dem Corona-Ausbruch

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Wummernde Bässe tönen durch die riesige Ausstellungshalle, ein Rapper mit Baseball-Cap performt enthusiastisch seine Strophen, gefolgt von drei Tänzerinnen in Minirock und Netzstrumpfhosen. Zwischen ihnen thronen die neuesten Modelle der Autohersteller: Dutzende SUV, riesig wie Straßenpanzer, frisch lackiert in minzgrün und knallrot. Begeistert zücken die anwesenden Video-Blogger ihre Selfie-Kameras.

Die Feierstimmung auf der am Samstag gestarteten Pekinger Automesse ist durchaus begründet: Allein dass im Corona-Jahr rund 80 Marken auf 200 000 Quadratmetern ihre neuesten Innovationen präsentieren können, ist ein demonstrativer Sieg gegen die Pandemie. In China scheint dies derzeit möglich, weil die Gesundheitsbehörden schlicht kaum noch Ansteckungen registrieren - die Hauptstadt Peking ist seit über 50 Tagen virusfrei.

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Natürlich gelten dennoch strenge Regeln: Einlass bekommen Besucher nur, wenn sie eine Kamera mit Gesichtserkennungssoftware passieren. Dann müssen sie den »Gesundheits-Code« auf ihrem Smartphone scannen, der nachweist, während der letzten 14 Tage in kein Risikogebiet gereist zu sein. Die Maskenpflicht gilt ebenfalls, doch allzu streng halten sich die Besucher auch in der chinesischen Hauptstadt nicht mehr dran: Nach der Zigarettenpause im Innenhof oder dem Mittagessen in der Cafeteria bleibt der Mund-NasenSchutz bei einigen demonstrativ unterm Kinn.

Ganz normal läuft Chinas wichtigste Automesse allerdings nicht ab: Zählte Deutsch in den letzten Jahren noch zu einer Art inoffiziellen Amtssprache auf den Gängen, sind 2020 praktisch keine Ausländer mehr zu sehen. Die allermeisten Vorstände aus Europa haben die Anreise nach China ausgelassen, wahrscheinlich um sich die zweiwöchige Pflichtquarantäne in einem staatlich zugewiesenen Hotelzimmer zu ersparen.

Doch auch die anwesenden Expats vor Ort blieben ungewöhnlich redefaul, Fragen bei den Pressekonferenzen waren unerwünscht. Dabei gäbe es genügend brisante Themen: etwa die Zwangsarbeit in der muslimisch geprägten Provinz Xinjiang, wo auch Volkswagen ein Werk unterhält. Stattdessen ähnelten die Reden auf den Ständen von Daimler und Co. regelrechten Lobeshymnen auf den chinesischen Markt.

Dieser ist in der Tat eine der raren Erfolgsgeschichten in diesem Jahr. Nach einem kurzen, aber massiven Einbruch von fast 80 Prozent steigen die Absätze nun seit fünf Monaten wieder. Mit Stand August verzeichnen die Fahrzeugverkäufe gar ein sattes Plus von 11,6 Prozent, verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Dabei hat die »goldene Jahreszeit« für Autokäufe in China gerade erst angefangen.

Im Reich der Mitte erfreuen sich vor allem deutsche Luxusautos nach wie vor hoher Beliebtheit. Daimler verkauft weltweit mehr als ein Drittel aller S-Klassen in China; oft handelt es sich um junge Klienten, für viele ist es gar der erste Pkw-Kauf. Auch Volkswagen setzt rund 40 Prozent aller Autos auf dem chinesischen Markt ab und investiert derzeit zwei Milliarden, um im Bereich Elektromobilität aufzuholen. Gerade für ältere Chinesen gilt es immer noch als besonders prestigeträchtig, mit einem schwarzen Audi durch Pekings Straßen zu rollen - jene Marke galt noch vor wenigen Jahren unter mächtigen Parteikadern als besonders beliebt.

Dabei schien die Goldgräberstimmung heimischer Autobauer längst vorüber, sie drohte gar nach einer zweijährigen Stagnation einem gehörigen Kater zu weichen. Doch die Coronakrise, die in China vergleichsweise rasch überwunden werden konnte, hat die Situation deutlich gewandelt: Während die Branche in Europa und den Vereinigten Staaten nach wie vor massiv leidet, ist China erneut zum Hoffnungsträger der deutschen Autoindustrie geworden. Kritischer formuliert: Die Abhängigkeit vom chinesischen Markt - und damit auch von der chinesischen Regierung - steigt zunehmend.

Im Gegensatz zu den Hochklasse-Benzinern, für die »Made in Germany« nach wie vor steht, setzt die chinesische Konkurrenz vor allem auf Elektro-Autos. »BYD«, »Geely« und »Dongfeng« heißen die Marken, von denen in Europa nur die wenigsten je gehört haben - zumindest noch. Die meisten von ihnen werden in den kommenden Jahren versuchen, auch im Ausland zu reüssieren. In Sachen Design und technischer Ausstattung haben sie massiv gegenüber den traditionsreichen Marken aufgeholt.

Angetrieben durch großzügige Kaufanreize und staatliche Investitionen in die technische Infrastruktur hat sich die Volksrepublik längst zum größten Produzenten wie auch Markt für Elektro-Autos entwickelt - über die Hälfte aller mit Strom betriebenen Fahrzeuge fahren in China. Die Ziele für die nächsten Jahre sind ambitioniert: Bis 2025 plant die chinesische Regierung, dass Fahrzeuge mit alternativem Antrieb mindestens 15 Prozent des Marktes ausmachen werden.

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