Utopie Frauenbad

Die Hamburger Kunsthalle wirft mit »Max Beckmann. Weiblich-männlich« einen neuen Blick auf einen kanonisierten Künstler

  • Falk Schreiber
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein junger Mann im Smoking schaut den Betrachter selbstbewusst an. Kantige Gesichtszüge, fordernder Blick, die Zigarette liegt lässig in der rechten Hand. Max Beckmanns »Selbstbildnis Florenz« (1907) zeigt auf den ersten Blick, wie der damals 23-Jährige sich selbst sehen wollte: als virilen, entschlossenen, aber auch zu Empfindsamkeit und Ironie fähigen Mann. Auf den ersten Blick. Denn im Bildhintergrund bewegt sich etwas; das wuchernde Grün hinter dem jungen Mann beginnt zu flirren, die Konturen um den Kopf verschwimmen. Plötzlich ist gar nichts mehr klar und sicher, plötzlich ist alles im Fluss: »Selbstbildnis Florenz« dokumentiert die Verqueerung des Max Beckmann.

Die Ausstellung »Max Beckmann. Weiblich-männlich« ist einerseits die Präsentation eines kanonisierten Künstlers der klassischen Moderne im erwartbaren Ambiente: Die Hamburger Kunsthalle zählt einen Bestand von 25 Gemälden und Skulpturen - eine der bedeutendsten Beckmann-Sammlungen im deutschsprachigen Raum; und auch mit Ausstellungen ist der 1950 in New York gestorbene Künstler an der Elbe sehr präsent, zuletzt zeigte die Kunsthalle 2014 seine Stillleben. Auf der anderen Seite eröffnet »Weiblich-männlich« eine neue Perspektive, indem die kunsthistorisch motivierte Ausstellung das Werk inhaltlich neu untersucht. Und siehe da: Im sich selbst sehr maskulin inszenierenden Beckmann findet sich überraschend viel Zwischengeschlechtliches und Diverses. Der Künstler erweise sich als »Vordenker der Gender-Debatte« jubelt Kunsthallen-Direktor Alexander Klar, was sicher hoch gegriffen ist, dennoch: Nach dieser Ausstellung sieht man Bilder wie »Selbstbildnis Florenz« mit ganz neuen Augen.

Eigentlich hatte Kuratorin Karin Schick geplant, dem so als queer kenntlich gemachten Selbstporträt eine weitere, ebenfalls sehr bekannte Arbeit gegenüberzustellen: das 20 Jahre später entstandene »Selbstbildnis im Smoking«, ein ganz ähnliches Motiv, in dem Beckmann sich selbst allerdings alle Queerness, alle femininen Züge ausgetrieben hat. Aber »Selbstbildnis im Smoking« hängt im Harvard-Museum, und das hat im Zuge der Corona-Pandemie geschlossen, die übliche Leihgabenpraxis ist unmöglich geworden. Das ist »Weiblich-männlich« nämlich auch: der Versuch, eine groß angelegte Publikumsausstellung unter Pandemiebedingungen zu realisieren. Die Wand, an der »Selbstbildnis im Smoking« hätte hängen sollen, bleibt jedenfalls leer, ein Verweis zeigt: Angesichts von Corona gerät das Ausstellungskonzept an seine Grenzen.

Eine Erfolgsausstellung definiert sich nicht zuletzt über den Publikumszuspruch, aber zu Max Beckmann darf im Grunde gar nicht viel Publikum kommen. Man hat es mit einer ganz traditionellen Präsentation zu tun, die sich gerade mal eine Camp-Extravaganz gönnt, wenn sie die Wände in Lavendel streicht. Ansonsten sieht man dicht gehängte Bilder in engen Gängen, ein Paradies für Aerosole - wenn sich dort die gewünschten Massen durchschieben, dann spricht das jedem Kontaktvermeidungsgebot Hohn. Die Kunsthalle rettet sich in Zugangsbeschränkungen bei gleichzeitiger Erweiterung der Öffnungszeiten abwarten, ob es hilft.

Tatsächlich verstört die Schau die Rezeptionsgewohnheiten nicht nachhaltig: Brav wird das Verhältnis von Beckmann zum Geschlechtlichen in einzelnen Kapiteln durchgenommen. Auf »Selbst« (die schon erwähnten Selbstporträts) folgt das »Doppelselbst«, als das der Künstler sich in Bezug zum weiblichen Gegenüber zeigt - ein interessanter wenn auch traditionalistischer Blick, der Frauenkörper meist als begehrenswert und bewundernd sieht und der direkt in »Die Familie« mündet.

Interessanter ist da das Kapitel »In Gesellschaft«, das Frauen auch als starke, dem männlichen Prinzip ebenbürtige Individuen darstellt, dabei allerdings oft im Konventionellen stecken bleibt: In »Bildnis Käthe von Porada« (1924) oder »Bildnis Quappi Beckmann« (1925) sind Frauen ätherische, zerbrechliche, schlanke Wesen, was durch das extreme Hochformat verstärkt wird.

Bemerkenswert dabei die Darstellung des homosexuellen Regisseurs Ludwig Berger (1945), dem Beckmann weibliche Züge gibt, nicht zuletzt durch zwei Blümchen, die Berger in der Hand hält. Wenn man das Blumenmotiv in der Ausstellung verfolgt, fällt auf, dass dieses ausschließlich mit Frauen verbunden wird, dass also Beckmann Homosexualität instinktiv als feminin konnotiert.

Das freilich bleibt nicht so, insbesondere die Arbeiten unter »Lust und Leid« verweisen auf ein Verständnis des Geschlechtlichen, bei dem die Rollen alles andere als eindeutig verteilt sind, mit halbpornografischen Sujets wie der Lithografie »Frau mit Fisch« (1948), der interessant mit weiblicher Homosexualität spielenden Federzeichnung »Schwebende« (1944) oder dem gewaltsatten »Vampir« (1947/48), das in »Dream« (1947) eine spannende Umdeutung der Dominanzperspektive erfährt.

Das Kapitel »Von Macht und Ohnmacht« bringt diesen Gedankengang der Geschlechterverwirrung zum Abschluss. Eigentlich verhandelt dieser Raum Beckmanns Kriegserfahrungen, allerdings ist hier auch das großformatige »Frauenbad« (1919) zu sehen, die Darstellung einer Badeanstalt, in der die kriegsbedingt männerlosen Frauen unter sich sind.

Und hier macht sich Beckmann von allen Konventionen frei, Säuglinge sind ebenso erkennbar wie alternde Körper, Lachen und Missmut, Fleisch und Knochen. In diesem überbordenden Tableau, in dieser Feier von Bewegung, Spiel und Geschlechtersolidarität scheint dann tatsächlich eine Erkenntnis dieser so klugen wie traditionellen Ausstellung auf: dass nämlich Beckmann gelitten haben dürfte unter den starren Geschlechterkategorien, die er selbst mit Arbeiten wie »Bildnis Ludwig Berger« oder »Selbstbildnis im Smoking« immer wieder reproduzierte. Und dass das »Frauenbad« eine Utopie ist, ein Ausweg aus dem Gefängnis der Zweigeschlechtlichkeit. Queerness.

»Max Beckmann. Weiblich-männlich«, bis 24. Januar 2021, Hamburger Kunsthalle/Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall 5, Hamburg.

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