Snoopys kleine Welt

Die »Peanuts« von Charles M. Schulz werden 70 Jahre alt.

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Charlie Brown und Peppermint Patty gehen spazieren. »Ich mache mir Sorgen um die Zukunft«, sagt Charlie. Sie bleiben stehen, Patty antwortet entgeistert: »Aber warum denn? Du bist jung und voller Leben!« Sie setzen sich auf den Bordstein. »Du hast wahrscheinlich noch sechzig Jahre vor dir!« Charlie legt die Hände in den Schoß. »Das ist es ja, was mir Angst macht!«

Das ist 1950 ein neuer Ton im amerikanischen Zeitungscomic, der zu dieser Zeit von den unterschiedlichsten Abenteuergenres dominiert wird. Hier unterhalten sich Kleinkinder mit Erwachsenenproblemen, noch dazu mit Problemen, die in diesen optimistischen, ewige Prosperität, unaufhaltsamen technischen Fortschritt und Aufstiegschancen verheißenden Nachkriegsjahren eigentlich gar nicht vorkommen dürfen.

Auf einmal hängt da diese tiefschwarze Wolke des Skeptizismus am sonnigen Himmel des Zeitgeistes - und die unzufriedene Campus-Jugend erkennt sich wieder in dem von Charles M. Schulz entworfenen »Peanuts«-Suburbia, in dem es realistisch zugeht, wütend, melancholisch und trist, in dem der soziale Anpassungsdruck, die juvenile Entfremdung, das Gefühl der Ausgrenzung thematisiert und dann doch mit einem Witz überschrieben, also in gewisser Weise bezwungen wird.

Als sich Mitte der 60er Jahre eine jugendliche Gegenkultur formiert und alsbald den gesellschaftlichen Mainstream beeinflusst, beginnt auch die große Zeit von Schulz. Dutzende Zeitungen drucken den täglichen Strip parallel, Sammelbände erscheinen, Zeichentrickfilme, ein Broadway-Musical, Schulz’sche Wortschöpfungen (wie etwa Linus’ »Security Blanket«) werden in Wörterbüchern verzeichnet, und schließlich geht das »Peanuts«-Personal auf T-Shirts, Kaffeetassen und Bettbezügen in den globalen Alltag ein. Charlie Brown, Snoopy, Lucy und ihre Gang avancieren zu popkulturellen Ikonen und machen ihren Schöpfer zu einem schwerreichen Mann.

Eine der Ursachen dieses Erfolgs ist die Anschlussfähigkeit des Strips. Schulz’ Figuren, so hat es Umberto Eco einmal formuliert, »sind die monströse infantile Reproduktion aller Neurosen eines Bürgers der modernen Industriegesellschaft!« Aber sie werden erträglich in der kindlichen Verkleidung. Die »Peanuts«-Welt bleibt trotz Lucys sadistischer Gemeinheiten, Charlies Melancholieanfällen, trotz ständiger Zurückweisungen und eben auch gelegentlicher körperlicher Gewalt ein Paradies. Ein verlorenes, für immer verschlossenes Paradies zwar, weswegen auch nie Erwachsene zu sehen sind, aber eben auch ein Glücksversprechen und hoffnungsvoller Gegenentwurf zur profanen Realität.

Hinreißend an der Kunst von Charles Monroe Schulz ist ihre Leichtigkeit. »In ihrer Bestform«, schreibt Art Spiegelman kurz vor Schulz’ Krebstod im Jahr 2000, »waren die Peanuts von der Reinheit und Tiefe eines Haiku … nur leichter zu verstehen«. Schulz gelingt es, die existenziellen Fragen im ganz Kleinen zu spiegeln, und trotzdem bleibt es immer ein unangestrengter, leicht konsumierbarer, witziger Comic-Strip. Diese parabelhafte Doppelbödigkeit zeichnet seine Vier-Panel-Kürzestgeschichten von Anfang an aus.

»Patty, wie schreibt man ›Gouverneur‹?«, fragt Charlie das lesende Mädchen. Sie sieht nicht mal auf: »Schau im Wörterbuch nach.« - »Da konnte ich es nicht finden.« - »Warum nicht?« - »Ich weiß nicht, wie man es schreibt!« Dieser Strip vom 14. April 1951, Schulz ist gerade mal ein halbes Jahr im täglichen Einsatz, illustriert nicht mehr und nicht weniger als das grundlegende Paradoxon der Erkenntnisphilosophie: dass man schon immer etwas wissen muss, um etwas zu lernen.

Schulz hat die Tiefenschicht seiner Comics gern heruntergespielt - und aus dem Mund dieses uneitlen, zurückhaltenden Gentlemans klang das Understatement nie nach Koketterie. »Ich weiß, ich bin kein Intellektueller. Ich halte mich nicht mal für besonders klug. Wirklich nicht. Ich denke, ich bin nicht auf den Kopf gefallen, und ich bin ganz gut darin, die Oberfläche eines Themas zu streifen, sodass es den Anschein hat, als wüsste ich eine ganze Menge darüber. Tatsächlich muss man nicht allzu viel wissen, um ein Comic-Zeichner zu sein. Wenn es also ein intellektueller Strip sein sollte, so habe ich jedenfalls nie darüber nachgedacht. Aber es freut mich, denn obwohl ich nie bewusst darüber nachgedacht habe, wollte ich natürlich etwas von Wert zeichnen.«

Schulz ist ein Meister der Standardsituationen. Schon früh macht er das Gesetz der Serie fruchtbar und spielt mit dem Spaß des Lesers am Wiedererkennen von bekannten Motiven, die er ständig neu variiert: Violets Versuche, Sandkuchen zu backen, die Lästereien über Charlies Kopfform, sein Scheitern beim Steigenlassen eines Drachens, Snoopys Gefräßigkeit, die sich vor allem auf Charlies Bonbons konzentriert, Linus’ Genialität, die sich früh zeigt in seinen unglaublichen Bauklötzchenkonstruktionen, Schroeders Klavierspiel, Lucy, die Charlie den Football wegzieht und ihn damit zu Fall bringt - all das erreicht die volle komische Verve erst nach der dritten oder vierten Wiederholung.

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