Totschläger-Partei vor Gericht

Das Verfahren gegen griechische neofaschistische Goldene Morgenröte endet

  • Carolin Philipp, Athen
  • Lesedauer: 4 Min.

2012 war die Partei Chrysi Avgi (XA) erstmals ins griechische Parlament eingezogen, wo sie bis 2019 vertreten war. Jetzt wird die Goldene Morgenröte nach dem Antiterror-Paragraphen 185 beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung zu sein. 68 Parteimitglieder sind angeklagt, über hundert Straftaten begangen zu haben. Bei 18 von ihnen handelt es sich um frühere Parlamentarier, weitere sind Anführer lokaler Schlägertrupps, auch eine Polizistin gehört dazu. Am Mittwoch fällt das Urteil.

Erste Ermittlungen waren nach dem Mord an dem antifaschistischen Hip-Hop-Musiker Pavlos Fyssas am 18. September 2013 durch ein Mitglied der Goldenen Morgenröte aufgenommen worden. Der damalige Minister für Bürgerschutz und heutige Außenminister, Nikos Dendias, ordnete damals eine Durchsuchung der Parteibüros an. Am Abend des Anschlags hatte es mehr als 150 verdächtige Telefonate von XA-Aktivisten, »Zellenleitern« bis hin zum »Führer« Nikos Michaloliakos gegeben. Vom Kollektiv Forensic Architecture analysiertes Video- und Audiomaterial belegt, wie straff organisiert die Messerattacke erfolgte. Wenig später überreichte Dendias dem Obersten Gerichtshof (Areopag) 30 Akten zu einer Vielzahl von Straftaten aus den Reihen der Goldenen Morgenröte.

Anfang September 2020 wurden die Anhörungen in dem Mammutprozess abgeschlossen. Über 200 Zeugen waren gehört worden. Hauptanklagepunkte sind neben der Tötung von Pavlos Fyssas als Mordversuche gewertete Angriffe auf ägyptische Fischern sowie Mitglieder der kommunistischen Gewerkschaft PAME im Jahr 2012. Über 100 weitere Gewalttaten der Nazi werden verhandelt. Über einige Taten wurde parallel in Strafprozessen an anderen Gerichten geurteilt. Dazu gehört der Mord an Shehzad Luqman im Januar 2013. Die beiden Mörder des 27-jährigen Pakistaners gehörten zur Goldenen Morgenröte. Sie erstachen ihn, weil er ihnen mit seinem Fahrrad »den Weg abgeschnitten« habe. Im Mai 2019 wurden sie zu 21 Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Abhängig vom jetzigen Urteil könnten sie noch zusätzlich für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung belangt werden. Laut Anklage wurden die Taten, ausgehend von einer menschenfeindlichen Ideologie und Praxis, vorsätzlich begangen. Das bestätigte im Februar 2018 als Zeuge auch das Mitglied der Goldenen Morgenröte Georgios Papageorgiou. Demnach gab es es die Anweisung der Parteiführung, alle »Provokationen« mit Gewalt zu beantworten.

Kostas Skarmeas, Anwalt der in ihrer Wohnung überfallenen ägyptischen Fischer, begrüßt, dass die Verbrechen als solche der Goldenen Morgenröte insgesamt verhandelt werden. Für den Mord an dem Musiker Fyssas wäre sonst nur der ausführende Täter Giorgos Roupakias verantwortlich gemacht worden. »Die Verbindungen von Roupakias zu seinem Zellenleiter Pantelis und von Pantelis zum regionalen Führer Lagos und schließlich zum Parteivorsitzenden Michaloliakos wären außen vor geblieben.« So lassen sich solche Hassverbrechen nicht mehr einfach auf Einzeltäter schieben. Die Anwältin der Familie von Pavlos Fyssas, Eleftheria Tobatsoglou, führt das auch darauf zurück, dass sich die hiesige extreme Rechte lange in einer Organisation konzentrierte - der Partei Goldene Morgenröte.

Ein Verbot der Partei war bereits vor Jahrzehnten von der griechischen KP und anderen linken Kräften gefordert worden. Doch die Gesetzeslage und der fehlende Wille der damals regierenden Sozialdemokraten ließen das nicht zu. Dimitris Psarras, investigativer Journalist und Zeuge der Anklage, hat die Satzung der Goldenen Morgenröte als Beweismittel in den Prozess eingebracht. »In ihr ist das Führerprinzig verankert«, erläutert Psarras. »Michaloliakos hat Einspruch eingelegt. Er wollte nicht, dass die Satzung vor Gericht verlesen wird, aus der hervorgeht, dass bei der Goldenen Morgenröte nichts ohne seine Zustimmung passiert.«

Der Anwalt Skarmeas sieht alle Bedingungen für eine Verurteilung der Partei als gegeben: »Um eine Organisation als kriminell zu erklären, muss diese eine kriminelle Struktur haben, und sie muss beabsichtigen, Verbrechen zu begehen. Die Goldene Morgenröte hat Morde, Raubüberfälle und vorsätzliche Körperverletzung begangen.«

Doch am 18. Dezember 2019 plädierte Staatsanwältin Adamantina Oikonomou überraschend auf Freispruch für alle Angeklagten mit Ausnahme von Giorgos Roupakias als Mörder von Pavlos Fyssas. Die Verbrechen charakterisierte sie als Einzeltaten, ohne Anweisung von oben. »Oikonomou trat auf, als sei sie in den vergangenen Jahren nicht mit im Gerichtssaal gewesen wäre«, kommentierte das Anwalt von PAME, Takis Sapountzakis.

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