In einem Dortmunder Callcenter verkaufen Mitarbeiter Lottoscheine. Ein millionenschweres Geschäft mit dem Glück - von dem die Beschäftigten nichts haben.
Unter falschem Namen und gut getarnt arbeitete der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff in Callcentern wie CallOn in Köln. Er brachte ein wenig Licht ins Dunkel der »Bergwerke der Neuzeit«, wie Wallraff die Center nennt. »Zigtausende arbeiten im Verborgenen, werden unsichtbar - und ihre Arbeitsbedingungen auch«, schrieb er in der »Zeit«. Was er über die Arbeitsbedingungen bei CallOn und die Mittel des Kundenfangs berichtete, sorgte bundesweit für Aufsehen. Dass CallOn zur gleichen Zeit in Dortmund mit aller Macht die Gründung eines Betriebsrats verhinderte, schaffte es nicht in die Schlagzeilen. In fünf Niederlassungen lässt CallOn rund 600 Beschäftigte im Auftrag der Firma LottoTeam telefonieren, um System-Lottoscheine zu verkaufen. Rund 20 Millionen Euro schwer ist das Geschäft mit dem Glück - Woche für Woche. CallOn beschert es einen Jahresumsatz von 70 Millionen Euro. Verbraucherschützer schätzen, dass sich täglich etwa eine Million Menschen unerwünschter und zum Teil hartnäckiger bis aggressiver Anrufer erwehren müssen, die ihnen etwas verkaufen wollen. Doch auch die Anrufer stehen unter Druck. Entweder sie verkaufen, oder sie werden aussortiert. Auch bei CallOn in Dortmund ging man nicht zimperlich mit den Mitarbeitern um, spitzte sich die Lage immer mehr zu. »Wir wollten einen Betriebsrat, um das Heuern und Feuern zu stoppen und um die unerträglichen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wir sollten permanent bespitzelt und nicht nur die Kundengespräche abgehört werden«, sagt Claudius Walde, der sich für eine Betriebsratswahl engagierte. Deshalb wurde ihm im Februar dieses Jahres kurzerhand gekündigt. Doch er setzte sich mit einer Klage erfolgreich zur Wehr. »Das Vorhaben, einen Betriebsrat zu wählen, wurde von Anfang an torpediert«, erinnert sich IG Metall-Sekretär Michael Niggemann. Für Callcenter ist eigentlich ver.di zuständig, doch da Claudius Walde IG-Metall-Mitglied ist, wandte er sich an seine Gewerkschaft. Mit dem Beginn seines Engagements pro Betriebsrat wird er zur Zielscheibe ständigen Mobbings. Mit einem Einzelarbeitsplatz wurde er von seinen Kolleginnen und Kollegen isoliert, es wurden Unterschriften gegen ihn gesammelt, er war Diffamierungen und Beleidigungen ausgesetzt. »Als Parasit hat man mich bezeichnet. Wer nicht gegen mich unterschrieben hat, dem wurde mit der Kündigung gedroht. Ob jemand allein erziehend oder in einer anderen Notlage war, das spielte keine Rolle«, beschreibt Walde, was ihm widerfuhr. CallOn-Geschäftsführer Eckhard Schulz erhob vor Gericht sogar den Vorwurf, Claudius Walde habe von ihm Geld gefordert, damit er die Bestrebungen für einen Betriebsrat einstellt. »Mit allen Mitteln ging es gegen Claudius«, sagt Michael Niggemann. Eckhard Schulz, erinnert er sich, hätte angeführt, dass es in Düsseldorf ja einen Betriebsrat gäbe. Nur mit Walde ginge es eben nicht. Doch bei einem Anruf bei CallOn in Düsseldorf erfährt man, dass es auch dort keinen Betriebsrat gibt. Den wird es auch in Dortmund nicht geben. Noch bevor Claudius Walde und seine Mitstreiter per Gericht die Herausgabe der Adressen der CallOn-Mitarbeiter zur Vorbereitung der Betriebsratswahl erzwingen konnten, scherte eine Frau aus dem dreiköpfigen Wahlvorstand aus. Mit einem besser dotierten Posten soll sie geködert worden sein, wird gemutmaßt. Daraufhin stellte der verbliebene Wahlvorstand seine Aktivitäten ein. Den meisten Dortmunder CallOn-Beschäftigten wurde aus betriebsbedingten Gründen ohnehin zum 30. Juni gekündigt. Doch Michael Niggemann weiß, dass die Geschäfte unter einem anderen Namen in den gleichen Räumlichkeiten weiterlaufen. »Wir lassen prüfen, ob es sich hier nicht um eine Betriebsschließung, sondern um einen Betriebsübergang handelt«, sagt der Gewerkschafter. Claudius Walde ist nervlich zerrüttet, befindet sich in psychiatrischer Behandlung. »Das wird schon wieder«, will er seinen Widersachern den Triumph nicht gönnen. »Aber ich bin entsetzt, dass CallOn frühkapitalistische Verhältnisse in unserem Rechtsstaat aufrechterhalten kann.«
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