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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Weitermachen gegen ein »Weiter so«

Die verschobenen Sommerspiele von Tokio - ein aufschlussreicher Band aus der Reihe »Ostasien-Studien«

Der Leipziger Universitätsverlag ist 1992 mit dem Ziel gegründet worden, einen Ort des Verlegens akademischer Literatur zu schaffen. Diesem Profil entspricht auch der in der Reihe der Leipziger »Ostasien-Studien« herausgegebene Band »NOlympics«. Bedingt durch die Corona-Pandemie wurden die Olympischen Sommerspiele, die bekanntlich in diesem Jahr stattfinden sollten, nach langem Zögern doch noch ins nächste Jahr verschoben.

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Steffi Richter/Andreas Singler/Dorothea Mladenova (Hg.): NOlympics. Tokyo 2020/1 in der Kritik.
Leipziger Universitätsverlag, 262 S., br., 29 €.

In elf Kapiteln wird in dem hier anzuzeigenden Buch eine umfassende Kritik an dem Mega-Event Olympia geboten. Die einzelnen Beiträge verschränken vielfältige wissenschaftliche Erfahrungen aus der Politologie, Japanologie und Sportwissenschaft mit politischen Praktiken der Anti-Olympia-Bewegungen. Einige der Autoren aus Deutschland, Japan und den USA agieren selbst in den weltweiten Protesten, die mit »NOlympics«-Gruppen ein transnationales Aktionsnetzwerk bilden. Die olympische Idee wird hier im Prinzip befürwortet, deren aktuelle Realisierung jedoch in Zweifel gezogen. Vor allem das »System Olympia« wird infrage gestellt, als Teil der System- und Gesellschaftskritik. Motiviert wird hier zu einem »Weitermachen« gegen ein »Weiter so«.

Nachgewiesen wird, dass das zu »Wiederaufbau-Spielen« verklärte Spektakel »Tokyo 2020/1« Ausdruck des typischen »Katastrophen- und Feier-Kapitalismus« ist. So wird dieses verlogene Etikett als Demagogie entlarvt, die die Menschen in der von der Dreifachkatastrophe 2011 gekennzeichneten Region um Fukushima im Stich lässt. Die Folgen der katastrophalen Unfälle im Kernkraftwerk Daiichi und des verheerenden Tsunami sind nicht »aus der Welt geschafft«, wie die offizielle Propaganda in Japan zu suggerieren versucht. Die Autoren des Bandes beanstanden, dass der olympische Fackellauf - erfunden 1936 von Nazideutschland - als »landesweiter Mobilisierungsfaktor« im März ausgerechnet in der Nähe des havarierten Atomkraftwerks gestartet wurde und durch nach wie vor kontaminierte Gebiete führen sollte - gepriesen als »Wiederaufbau-Feuer« und mit dem scheinheiligen Motto »Hoffnung erhellt unseren Weg« versehen.

Verwiesen wird auch auf die Kostenexplosion zur Finanzierung der Spiele. Zum Zeitpunkt der Bewerbung 2011 waren 6,3 Milliarden Euro veranschlagt worden, inzwischen ist die Summe um mehr als das Dreifache gestiegen. In der Kritik stehen Eingriffe in die Stadtkultur, der Verkauf städtischen Bodens an Privatunternehmen zu Schleuderpreisen, die mutmaßlichen Zahlungen von Bestechungsgeldern, die zur Vergabe der Spiele an Tokio beigetragen haben, sowie die Anheuerung von 80 000 Helfern als billige Arbeitskräfte. Hinterfragt werden Gesetzespakete zur »Sicherheit« der Spiele wie das »Antikonspirationsgesetz« oder das »Kollektive Selbstverteidigungsgesetz«, die Olympia zum Experimentierfeld für die Beschränkung von Grundrechten im Namen von Anti-Terror-Maßnahmen degradieren. Aufschlussreich ist nicht zuletzt das Kapitel »Frauen und Olympia«.

Kurzum: eine interessante Lektüre, die im Vorfeld der nun vom 23. Juli bis 8. August 2021 geplanten 32. Olympischen Sommerspiele ihre Leserschaft besonders unter den kritischen Olympiafans finden dürfte.

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