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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Ruheloser Anarchist

Wolfgang Haug porträtiert Theodor Plievier als Schriftsteller der Freiheit

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 4 Min.

Kaum ein anderer hatte den Geburtsfehler der Weimarer Republik so treffend auf den Punkt gebracht wie Theodor Plievier mit dem Titel seines im Malik-Verlag erschienenen Buches »Der Kaiser ging, die Generäle blieben«. Als der bekennende und aktive Anarchist, der allerdings keiner der vielen Strömungen im Anarchismus angehörte, 1932 dieses Buch veröffentlichte, hatte er schon zwei Jahre zuvor, ebenfalls bei Malik, mit »Des Kaisers Kulis« einen Erfolg erzielt, der ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt machte. Dieses Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt, erschien als Fortsetzung in Zeitungen, wurde von Erwin Piscator für die Bühne bearbeitet und sollte schließlich von Willi Münzenbergs Filmgesellschaft Meschrabpom auf Zelluloid gebannt werden.

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Wolfgang Haug: Theodor Plievier. Anarchist ohne Adjektive. Der Schriftsteller der Freiheit.
Edition AV, 492 S., geb., 24,50 €.

Neben Remarques »Im Westen nichts Neues« und Bruno Vogels »Es lebe der Krieg« war Plievier mit der Niederschrift seiner Erlebnisse als Angehöriger der Kaiserlichen Marine im I. Weltkrieg und beim Aufstand der revolutionären Matrosen von 1918 eines der engagiertesten deutschen Antikriegsbücher gelungen. Dafür wurde er von der deutschen Rechten, allen voran den Nazis, gehasst und bedroht.

Plievier, geboren 1892, war nach dem Ersten Weltkrieg zur See gefahren und hatte in verschiedenen Ländern in unterschiedlichen Berufen gearbeitet, begann aber schon zeitig zu schreiben und war auch als Verleger tätig. Zu seinen unzähligen Freunden und Bekannten gehörte nicht nur die literarische Avantgarde, sondern auch die zeitgenössischen Theoretiker und Praktiker des Anarchismus.

1933 musste er emigrieren, zunächst über die ČSR und die Schweiz nach Frankreich. Dort lernte er unter anderem den ukrainischen Anarchisten Nestor Machno kennen, der mit der Roten Armee im Russischen Bürgerkrieg gegen die deutschen Okkupanten und die weiße Konterrevolution gekämpft hatte, dessen Bewegung aber dann von den Bolschewiki zerschlagen worden war; Machno selbst wurde ins Exil getrieben. Plievier, der nie Kommunist war, interviewte in Frankreich auch andere antibolschewistische Emigranten. Seine Absicht war es, ein Buch über Machno zu schreiben. Eine Absicht, die ihm später, als er im sowjetischen Exil lebte, fast zum Verhängnis werden sollte.

1934 nahm Plievier wie viele andere ausländische Schriftsteller am Allunionskongress der Sowjetschriftsteller teil und entschied sich, danach in der UdSSR zu bleiben, wo er schon durch seine Veröffentlichungen bekannt war. Nun schrieb er unter anderem für die verschiedenen Exil-Zeitschriften, musste aber viel Zeit dafür aufbringen, unter den harten Bedingungen jener Zeit in der Sowjetunion mit seiner Frau überleben zu können. Er agierte mit äußerster Vorsicht, und so überstand er, der parteilose Schriftsteller, die Jahre des »Großen Terrors«. Er war nicht wie seine kommunistischen Kollegen den Verdächtigungen ihrer Parteien ausgesetzt, die vielfach in den Gulag oder in den Tod führten, wie bei Ernst Ottwalt oder Maria Osten.

Als die übereifrige Genossin Frida Rubiner, die immer befürchtete, dass ihr ihre frühen Übersetzungen von Trotzki, Radek und Bucharin Schwierigkeiten bereiten könnten, ihn nach dem deutschen Überfall wegen Äußerungen, die sie angeblich von Lilly Korpus, der Frau von Johannes R. Becher, gehört habe, und wegen seiner geplanten Machno-Biografie denunzierte, entstand eine groteske Situation: Die Spitze der KPD-Vertretung in Moskau verhörte Frida Rubiner und nahm den parteilosen Plievier, den Anarchisten, in Schutz. Auch Becher, der Plievier aus seiner Jugendzeit kannte, sprach sich, gewiss nicht ganz uneigennützig, für ihn aus. Plievier wurde Gründungsmitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland und erhielt die Möglichkeit, mit deutschen Kriegsgefangenen zu sprechen und erbeutete Briefe der Wehrmachtangehörigen zu lesen. Daraus entstand der Roman »Stalingrad«, 1946 das Buch mit der höchsten Auflage im Aufbau-Verlag und gleichzeitig in Österreich und Mexiko im Verlag El libro libre erschienen. Damit wurde das Buch zum ersten Bestseller der Nachkriegszeit, der bis heute unzählige Neuauflagen erfahren hat.

Nach Deutschland zurückgekehrt, setzte Plievier seine schriftstellerischen Aktivitäten fort. Im Oktober wurde er, der parteilose Anarchist, auf der Liste der SED in den Thüringer Landtag gewählt. Wegen der bürokratischen Gängelung und seiner Erfahrungen in der Sowjetunion übersiedelte er aber nach Westdeutschland. Obwohl er sich wie andere nichtkommunistische Linke im Kongress für kulturelle Freiheit engagierte, fühlte er sich in der Bundesrepublik, angegriffen von ehemaligen Nazi-Generälen, nie so recht heimisch. 1953 nahm er mit seiner Frau seinen endgültigen Wohnsitz in der Schweiz. Vielleicht hätte er zu dieser Zeit über die Bundesrepublik ein Buch mit dem Titel »Der Führer ging, die Generäle blieben« schreiben sollen.

Wolfgang Haug hat eine erstaunlich fakten- und kenntnisreiche Biografie vorgelegt, die durch die offenkundige Sympathie, die er für Plievier empfindet, viel gewinnt. Er ist fast jedem Detail im Leben Plieviers nachgegangen. Seinem Buch ist eine große Resonanz zu wünschen, zumal es für lange Zeit das Standardwerk über Theodor Plievier bleiben wird.

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