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  • Beilage zur Buchmesse Frankfurt Main

Der überdrehte Erzählton

Warum jetzt dieses Durcheinander? Weil es eine Komödie ist: Der Roman »Großes Kino« von Sascha Reh

  • Enno Stahl
  • Lesedauer: 5 Min.

Deutsche können keine Komödien. Den Text mit einem Pauschalurteil zu eröffnen, kommt immer gut. Das erregt Widerspruch oder Zustimmung, und in unseren polarisierenden Zeiten ist Aufmerksamkeit, die sich allein aus Ablehnung oder Apotheose speist, nur so zu erlangen. Also: Deutsche können keine Komödien. Es sei denn, man betrachtet den »Schuh des Manitu« als gelungene Humoreske, die ubiquitären Lachtexte der Poetry-Slam-Gemeinde als scharfzüngige Satire. Vielleicht muss man dann aber mal zum Arzt.

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Sascha Reh: Großes Kino. Schöffling, 320 S., br., 18 €.

Dass dieses Pauschalurteil, das hier am Anfang gefällt wird, nicht stimmt, dass es zumindest Ausnahmen von der Regel geben kann, beweist Sascha Rehs neues Buch »Großes Kino«. Denn, dies sei gleich vorweg verraten, dieser Roman ist eine gelungene Groteske, intelligent, witzig, mit dem unleugbaren Vorteil, dass er sich selbst nicht allzu ernst nimmt.

Der Titel »Großes Kino« ist gleich zweifach von Bedeutung. Einerseits orientiert sich Reh ziemlich deutlich an den coolen Gangsterkomödien Quentin Tarantinos und Guy Ritchies, versucht also selbst »großes Kino« zu werden. Der Roman ist auch voller Anspielungen auf kinematografische Ereignisse, er ruft Filmszenen auf, um die jeweilige Handlung zu bebildern, und schleudert mit Kinoreferenzen nur so um sich.

Damit, dass Reh diese ironische Metaebene einbaut, geht er über die erwähnten Vorbilder durchaus hinaus. So tritt der Erzähler immer mal wieder neben die Handlung, kommentiert das Geschehen und zerstört so die Illusion des literarischen Textes: »Warum jetzt dieses Durcheinander in der Timeline, fragt man sich vielleicht, wo doch schon die Orientierung in dem üppigen Figurenensemble sowie der überdrehte Erzählton genug Hirnschmalz verbrennt?«

Hauptfigur des Romans ist der arbeitslose Ex-Sozialarbeiter Carsten Wuppke. Er hat aus irgendwelchen Gründen, über die er nicht reden möchte, seinen Job verloren. Im Rahmen dessen aber hat er einst dem Neuköllner Clan-Oberhaupt Ali, genannt »der Chinese«, einen Gefallen getan, weshalb dieser nun für ihn sorgt. Das heißt, er gibt ihm hin und wieder Aufträge, die Wuppke nicht ablehnen kann. Darunter fallen so dankbare Aufgaben wie die pädagogische Supervision eines Treffens von Alis Männern, um - wie es heißt - deren »Benutzerfreundlichkeit« zu verbessern: »Auf ein paar unmotiviert drapierten Stühlen, die vage einen Kreis beschrieben, hatten sich etwa zwei Hände voll arabischdeutscher Adoleszenten versammelt bzw. gelümmelt, die derartig mit Wachstumshormonen vollgepumpt waren, dass man sie hätte auf Flaschen ziehen können.«

Keine ganz leichte Sache also, nicht ohne Gefahr - die Beziehung zu Ali ist für Wuppke ein zweischneidiges Schwert. Besonders heikel wird es, als Wuppke für »den Chinesen« eine Angelegenheit auf Sylt regeln soll und sich alsbald zwischen alle Stühle setzt. Ein Mitarbeiter der dortigen Bauaufsichtsbehörde, Kleinrodt, hatte Ali versprochen, dass er Land kaufen kann. Doch daraus wurde nichts. Jetzt soll Wuppke diesen Deal retten - mit List, Gewalt oder Tücke. Das erweist sich als ziemlich unrealistisches Unterfangen, da Kleinrodt eine ganz kleine Nummer ist.

Seine Chefin, die hier das Sagen hat, möchte Bürgermeisterin werden. Genauso wie der Vorsitzende des Naturschutzverbandes, Jorgensen. Tatsächlich ist das vermeintliche Baugrundstück ein Naturschutzgebiet; verschiedene politische Interessen verquirlen sich zu einer diffusen Gemengelage. Die Geschichte, die sich daraus entwickelt, ist ziemlich überdreht, voller Sprünge, Haken und Wendungen. Immer mehr Figuren treten ein in das erbarmungslose Schicksalsspiel der Komödie. Wuppke kriegt zusätzlichen Stress mit Alis Gewährsmann vor Ort, einem Club-Betreiber namens Hadi, der sehr viel Geld von ihm fordert. Hadi selbst dagegen plant hinter dem Rücken seines Chefs einen Kokain-Deal mit der Ndrangheta. Doch dieser platzt, und eine Reihe von Parteien verstrickt sich in ein Widerspruchsbündel, im Kampf um Geld, Drogen und das Naturschutzgebiet. Es gibt einige Opfer, die meist nicht ohne Komik das Zeitliche segnen.

Reh schildert all diese haarsträubenden Ereignisse in einem locker-amüsierten Ton, ironisch und euphemistisch - gerade durch die Sprache erfährt die Handlung eine beständige Brechung. Man liest sie so als eine rein fiktive Geschichte, die es allein auf Unterhaltung anlegt; Realismus oder gesellschaftskritische Positionen sind nicht vorgesehen - wenngleich Letzteres sich en passant in manchen Kommentaren andeutet. Häufig wird der humoristische Effekt durch einen Mix der Sprachniveaus erzeugt, wenn etwa Ali und Wuppke sich über einen Streitfall plötzlich in waschechtem Juristensprech unterhalten, während das Gang-Oberhaupt ansonsten eher ein gebrochenes Deutsch spricht. Immer wieder konterkarieren elitäre Ausdrucksweisen die banalen Sachverhalte, die sie schildern. Daneben fließen Szenejargon und Fachsprachliches ein, es ist ein luzide sprenkelnder Stil, der sich aus der Freude am Fabulieren speist.

Mittendrin hantiert Wuppke als lethargischer Held, der ohne größere Panik versucht, die widerstrebenden Handlungsenden zusammenzuführen. Es ereignet sich ein großer Showdown in Jorgensens Haus. Fast alle Figuren treffen hier noch einmal aufeinander, wie das in Komödien so ist, und Wuppke gelingt es glücklich, den gordischen Knoten der dramatischen Verwicklung zu durchschlagen. Am Ende der Lektüre ist man zwar nicht unbedingt schlauer, aber hat sich gut amüsiert. Von Joyce wissen wir, dass die Komödie die Unabänderlichkeit der Welt zur Voraussetzung hat, während die Tragödie sie zu verbessern sucht. In diesem Sinne ist Sascha Rehs »Großes Kino« ein Prototyp dieses Genres.

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