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Privatisiert ins Debakel
Großbritannien hat in der Coronakrise ein System des Testens und Aufspürens entwickelt. Die privaten Betreiber setzen dabei auf falsche Strategien aus dem Marketing
Wer ein kompetentes Unternehmen sucht, das einen dicken öffentlichen Auftrag übernehmen kann, sollte eigentlich einen großen Bogen um Serco machen. Der Dienstleistungs- und Outsorcingriese musste schon mehrmals Millionenbußgelder bezahlen, etwa weil er die Zielvorgaben eines Auftrags für Asylunterkünfte nicht erfüllt hatte oder da eine Tochterfirma, die Häftlingen elektronische Fußfesseln montierte und überwachte, beim Schummeln erwischt worden war. Aber offenbar findet die britische Regierung das alles halb so schlimm: Das Gesundheitsministerium entschied im Mai, dass Serco bei der Corona-Kontaktverfolgung im Land federführend sein soll. Auftragswert: 108 Millionen Pfund (etwa 118 Millionen Euro). Über 30 andere Privatfirmen sind ebenfalls am Betrieb des Test-and-Trace-Systems beteiligt.
Die Idee hinter dem Programm ist es, sehr rasch die Kontaktpersonen von Leuten zu finden, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, sie zu informieren und in eigenen Stationen ebenfalls zu testen. Zunächst wurden 18 000 sogenannte Contact-Tracers angeheuert, die für die Kontaktaufnahme zuständig sind. Premierminister Boris Johnson bezeichnete das britische System des »Test and Trace« seinerzeit als »weltweit führend«.
Doch es hat sich zu einem Debakel entwickelt. Offizielle Statistiken belegen, dass die Contact-Tracers im Schnitt gerade mal die Hälfte aller Leute kontaktieren, die mit covid-positiven Patienten im gleichen Haushalt wohnen. Zudem hätten die Unternehmen nicht genügend Teststationen eingerichtet: Viele Leute wurden aufgefordert, mehrere Hundert Kilometer per Auto zurückzulegen, weil es in ihrer Nähe kein Testzentrum gibt. Verschärft wird das Problem dadurch, dass es zusätzlich eine – ähnlich wie in Deutschland fehlerbehaftete – Tracing-App gibt, die von anderen Unternehmen betrieben wird und nicht mit dem Test-and-Trace-System verbunden ist.
Für Allyson Pollock, Professorin für Public Health an der Universität Newcastle, ist das kaum überraschend: »Die Regierung entschied sich beim Contact-Tracing für einen zentralisierten, privatisierten Ansatz. Dabei verlässt sie sich auf Unternehmen, die über keinerlei Erfahrung verfügen und keine Ahnung haben von dem, was sie tun«, sagte Pollock gegenüber »nd«. Sie ist auch Mitglied der Gruppe Independent Sage, eines Zusammenschlusses von Wissenschaftlern, die die Corona-Krisenbewältigung mit einem kritischen Auge verfolgen.
Kontaktverfolgung ist ein schwieriger Job, denn man muss mit Fingerspitzengefühl vorgehen, Vertrauen aufbauen und die richtigen Fragen stellen. »Aber die Angestellten von Serco und Sitel wurden als Verkaufs- und Marketingassistenten rekrutiert«, sagt Pollock. »Ihre Ausbildung dauerte weniger als einen Tag. Sie sitzen irgendwo in einem Callcenter und tun nichts.« Stattdessen wären die Contact-Tracers vor Ort gefragt, in den Communities, wo sie sich mit den lokalen Gesundheitsbehörden koordinieren können. »Eigentlich haben unsere öffentlichen Gesundheitsstellen viel Erfahrung mit dieser Arbeit – etwa durch die Kontaktverfolgung bei Tuberkulose oder Geschlechtskrankheiten. Sie kennen die lokalen Verhältnisse und haben viel Expertise gesammelt.«
Aber wie ein großer Teil des öffentlichen Dienstes sind auch die lokalen Gesundheitsbehörden in den vergangenen Jahrzehnten ausgehöhlt worden. Kommunale Labore wurden größeren Organisationen einverleibt, die Seuchenkontrolle wurde zentralisiert. So fehlt es den Gemeinden und den lokalen Krankenhauslaboren an der Kapazität, um die Corona-Pandemie effektiv zu kontrollieren. Aber anstatt das bestehende System in der Pandemie wieder zu stärken – wie in Deutschland –, schuf die Regierung ein paralleles, privatisiertes System für Test and Trace mit Unternehmen, die diesen Job noch nie gemacht haben. Das neoliberale Mantra, dass es der Privatsektor stets besser richtet als der öffentliche, hält sich zäh in den Köpfen der Tories.
Das Fiasko rund um Serco und Co. hat allerdings dazu geführt, dass die Kommunen bei der Kontaktverfolgung nun keine untergeordnete Rolle mehr spielen. So sind sie zumindest zuständig für Coronatests bei Gesundheitsmitarbeitern. Zudem stopfen sie im Zusammenspiel mit der Gesundheitsbehörde Public Health England (PHE) viele Lücken, die das privatisierte System hinterlässt. Die PHE-Teams schaffen es beispielsweise, mit rund 95 Prozent der Kontakte zu sprechen. Und manche Gemeinden sind so frustriert wegen der Arbeit der Outsourcingfirmen, dass sie auf eigene Faust Kontaktverfolgungsprogramme aufgezogen haben.
Dennoch hat die Regierung in London die Verträge mit Serco und den anderen privaten Dienstleistern verlängert. »Acht Monate nach Beginn der Pandemie sind wir im Prinzip so weit wie am Anfang«, sagt Pollock. »Und wir haben Privatfirmen Hunderte Millionen Pfund bezahlt.«
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