Stimmen der Straße

Menschen mit und ohne festen Wohnsitz protestieren in Berlin für eine faire Wohnungspolitik

  • Josefine Körmeling
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit sieben Jahren setzt sich der Verein Berliner Obdachlosenhilfe für die Belange von Obdachlosen ein. Mehrmals in der Woche fahren Helfer*innen Touren mit Essen und Kleidung in Berlin für bedürftige Menschen aus. Aber auch politische Aktionen, wie zuletzt eine Kundgebung am vergangenen Samstag, würden ein immer wichtiger Teil der Arbeit des Vereins, sagt Frieder Krauß zu »nd«. Für eine solche Kundgebung sei es vor allem wichtig, den obdachlosen Menschen selbst eine Stimme zu geben, so Krauß, der seit mehreren Jahren beim Verein mitarbeitet. »Die Menschen haben oft ein sehr hohes politisches Bewusstsein, das interessiert nur meistens niemanden«, sagt er.

Um das zu ändern, ist das Mikrofon bei dieser Kundgebung für alle offen. Jede Person, die möchte, kann etwas sagen. Es entsteht ein bunter Abend mit verschiedenen Beiträgen, die von den Zuhörer*innen laut beklatscht und unterstützt werden. Das Publikum der Kundgebung steht mit großen Pappschildern um einen kleinen, weißen Pavillon, in dessen Mitte ein Mikrofon und Boxen aufgebaut sind. Immobilienspekulation, Zwangsräumungen und eine defizitäre Politik werden mit lauten Buhrufen kommentiert. Denn Obdachlosigkeit könnte morgen vorbei sein, so das Credo der Veranstaltung mit dem Titel: »Leerstand beschlagnahmen – Obdachlosigkeit abschaffen«. Zentrale Forderungen sind die Nutzung von leerstehendem Wohnraum und einer generell demokratischeren Wohnungspolitik. Eine Sprecherin vom Verein »Hände weg vom Wedding« spricht über eine Mietpreissteigerung von 121 Prozent in ihrem Bezirk im Laufe von zehn Jahren. Sie macht darauf aufmerksam, dass es »nie deine Schuld ist, wenn du keine Wohnung findest«.

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Und wenn man einmal auf der Straße gelandet ist, dann fehle es an Sicherheit, findet Sprecher Markus, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er ist selbst obdachlos und weiß deshalb um die Gefahren für Menschen auf der Straße. Ein Beitrag zum Schutz könnten zum Beispiel ausgemusterte Sicherheitswesten von der Polizei sein, findet er.

Nun steht also der nächste Winter an. Eine Jahreszeit, die das Leben »auf Platte« mit kalten Temperaturen noch einmal deutlich beschwerlicher und gefährlicher macht. In diesem Jahr ist die Situation durch die Corona-Pandemie weiter verschärft. Denn obdachlose Menschen haben keinen Ort für eine häusliche Quarantäne. Die Hilfsangebote, die es vor allem in der kalten Jahreszeit gibt, sind durch Abstandsgebote und Hygienevorschriften stark eingeschränkt. Die Berliner Kältehilfe versucht ihre gewohnte Kapazität von 1000 Betten pro Nacht für bedürftige Menschen aufrecht zu halten, indem auch Hotels und Hostels zur Unterbringung genutzt werden.

Doch das reicht einfach nicht, das ist die klare Meinung auf der Kundgebung. »Notunterkünfte sind nur kurzfristige Lösungen und die Bedingungen dort zum Teil menschenunwürdig«, sagt Frieder Krauß. Ein Sprecher auf der Demonstration berichtet, dass man manche Unterkünfte morgens schon um 6.30 Uhr verlassen müsste. Eine andere Person berichtet vom Fehlen von barrierearmen Angeboten. Die Frau, die selbst im Rollstuhl sitzt, weiß das aus eigener Erfahrung. Vier Jahre habe sie auf der Straße überlebt. »Es braucht wirkliche Hilfe«, sagt sie. »Und nicht eine Abschiebung von einer Behörde nach der anderen.« Als eine »Politik der Elendsverwaltung« bezeichnet eine Sprecherin der BOH Massen- und Notunterkünfte. Langfristige Lösungen bräuchte es stattdessen. »Wer #stayathome sagt, der muss auch Wohnungen liefern«, sagt sie und das Publikum applaudiert.

Zum Abschluss der Veranstaltung kommt der Bus der Berliner Obdachlosenhilfe zur Kundgebung. Es hat sich schon eine lange Menschenschlange gebildet. Personen, die sich auf eine warme Mahlzeit freuen. Es ist einer von vielen kalten Abenden, die diesen Winter noch vor den Menschen liegen. Doch es wird weitere Versuche geben, auf die Situation der Menschen aufmerksam zu machen, die von der Politik so oft vergessen werden. Versuche, etwas zu ändern. »Schaut euch um in den nächsten Wochen«, sagt der Moderator der Kundgebung zum Abschluss: »Es wird noch einiges passieren.«

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