Müller: »Ich will keine Kühllaster mit Verstorbenen«

Berlins Regierender Bürgermeister stimmt die Berlinerinnen und Berliner in einer Regierungserklärung auf die harten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ein

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat die geplanten harten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verteidigt. »Ich will kein Brüssel, ich will kein Bergamo und ich will auch keine Kühllaster mit Verstorbenen in Berlin, wie sie durch New York gefahren sind«, sagte der SPD-Politiker am Sonntag in einer Regierungserklärung im Berliner Abgeordnetenhaus. Das Parlament war an diesem Sonntag erstmals in der Coronakrise zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Überschrieben war die Regierungserklärung Müllers mit dem Titel: »Corona bekämpfen! Gesundheit sichern und Leben retten. Solidarisch und entschlossen.«

Dass die Exekutive, der Senat, auf die Legislative, das Abgeordnetenhaus, zugeht, hängt auch damit zusammen, dass es zuletzt von verschiedenen Seiten Kritik an den Eindämmungsmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie gab, die bislang in der Hauptsache über Verordnungen der Länderregierungen gesteuert wurden. »Sie haben recht, wenn sie sagen, dass das Parlament stärker einbezogen werden muss«, räumte Müller gegenüber den Abgeordneten ein. In einer lebendigen Demokratie sei die Auseinandersetzung im Parlament unabdingbar. Gleichwohl warb der Senatschef um Unterstützung für seine Politik, die bis Ende November einen Teil-Lockdown des öffentlichen Lebens in der Stadt vorsieht, aber Schulen und Kitas, soweit das möglich ist, offenhalten will.

Wie groß die Vorbehalte gegen die Verordnungsmanier sind, zeigte sich in der anschließenden Debatte. Zwar sind sich SPD, CDU, Linke, Grüne und FDP in der grundsätzlichen Einschätzung zur Gefahr der Pandemie ziemlich einig. »Wir können nicht warten, bis die kritische Schwelle bei der Belegung der Intensivbetten in den Krankenhäusern erreicht ist«, mahnte beispielsweise der Fraktionsvorsitzende der Linken, Carsten Schatz. Ähnlich äußerten sich auch die Redner von CDU und FDP. Einzig die AfD hat offenbar eine andere Sicht: Deren Fraktionschef bezeichnete die Sondersitzung des Abgeordnetenhauses als »Farce« und »reine Alibiveranstaltung«. Mehrfach wurden Abgeordneten der extremen Rechten vom Parlamentspräsidenten Ralf Wieland (SPD) aufgefordert, die ständigen Zwischenrufe zu unterlassen. Einmal gab es sogar einen Ordnungsruf für einen AfD-Abgeordneten.

Doch auch wenn sich die demokratischen Parteien einig sind, was die Gefährlichkeit der Lungenseuche angeht, gibt es bei den Meinungen zur Bekämpfung deutliche Unterschiede. In der Linksfraktion beispielsweise gibt es immer mehr Abgeordnete, die die geplanten Maßnahmen des Senats mit Argwohn sehen. Insbesondere die Strategie, vor allem das Arbeiten und den Konsum aufrechtzuerhalten, während Gastronomie, Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen schließen müssen, wird kritisiert. »Mit dieser Priorisierung können wir uns als Linke nicht zufriedengeben«, betonte Schatz. Der Linksfraktionschef verwies zudem auf die in der Coronakrise weiter wachsende Schere zwischen Arm und Reich.

Wie belastet das Verhältnis der Linksfraktion zur Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) inzwischen ist, zeigte sich in der Forderung der Sozialisten, dass es schnell einen Plan geben müsse, wie Alten- und Seniorenheime mit Schnelltests und FFP2-Schutzmasken versorgt werden können, um die dort lebenden Menschen besser zu schützen.

Auch die Opposition kritisierte naturgemäß die Senatspolitik. »Dieser Senat hat die Zeit nicht hinreichend genutzt«, erklärte FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja mit Blick auf die Sommermonate, in denen es in Berlin vergleichsweise wenig Neuinfektionen gab. »Sie verlangen von den Menschen ein Höchstmaß an Anstrengungen, aber selbst legen sie nur ein Mittelmaß vor«, urteilte der FDP-Fraktionsvorsitzende. In dieselbe Kerbe schlug der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger: »Ich fordere Sie auf, dass unsere Verwaltung auch in einem Lockdown arbeitsfähig bleibt.« Zuvor hatte der Vorsitzende der Union ebenfalls die schlechte personelle Ausstattung des für die Nachverfolgung des Infektionsgeschehens zuständigen Öffentlichen Gesundheitsdienstes kritisiert.

Für SPD-Fraktionschef Raed Saleh ergeben sich nun zwei Herausforderungen, einerseits neue Soforthilfen aufzulegen, um das Armutsrisiko zu minimieren. Und, zweitens, die Gesundheit der Menschen zu schützen. Das sieht auch die Spitzenkandidatin der Grünen für 2021, Bettina Jarasch, als besonders wichtig an. »Wenn wir nicht handeln, werden Ärztinnen und Ärzte gezwungen, zu entscheiden, welche Patientinnen und Patienten aufgegeben werden müssen.«

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