Ruinen, die wir schaffen

Die Politik würgt das künstlerische Leben ab - die Folgen für Theater, Kinos und Museen sind verheerend und zeugen von kulturpolitischer Kurzsichtigkeit

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 5 Min.

Licht aus, alles dicht. Mögen viele die Schließung der Kultureinrichtungen im Frühjahr noch zähneknirschend, aber aus einem Verantwortungsgefühl heraus akzeptiert haben, so empfinden nicht wenige die erneuten Schließungen als einen Schlag ins Gesicht. Zumal kaum andere Institutionen derart ausgefeilte und sichere Hygienekonzepte vorweisen konnten wie die Museen, Kinos und Bühnenhäuser. Einbahnstraßensysteme, strenge Kontrolle der Besucherzahlen sowie Saalauslastungen von ungefähr 20 Prozent minimierten empfindlich das Ansteckungsrisiko. Dass die Bundes- und Landesregierungen dessen ungeachtet die Türen nun verriegeln, ist weitaus mehr als nur eine Missachtung jener Bemühungen um Gesundheitsschutz. Vielmehr stehen die Beschlüsse für ein kulturpolitisches Desaster. Indem Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Erklärung der Maßnahmen künstlerische Ausdrucksformen primär mit Unterhaltung und Freizeitvertreib verband, war eigentlich schon alles gesagt: ob Kinematografie oder Schauspiel - auf diese Luxussparte wird man doch wohl verzichten können!

Zu Recht melden sich angesichts dieser Geringschätzung nun die Betroffenen zu Wort. »Wir sind mit vielen anderen Kultureinrichtungen in allererster Linie Bildungs- und Diskursorte, die in einer gesellschaftlichen Krise, wie wir sie momentan erleben, mehr denn je gebraucht werden«, hält Lene Grösch, leitende Dramaturgin am Theater Heidelberg, fest. Denn wo, so lässt sich legitim fragen, werden derzeit noch auf einer grundlegenden Ebene die sozialen Transformationen unserer Zeit, auch und gerade im Schatten der Pandemie, reflektiert? Was die Repräsentanten der Exekutive nicht sehen, ist eine Bühnenkunst, die die Gemütsverfassung und Sehnsüchte einer Gesellschaft, ja, die kleinen und großen Veränderungen des Miteinanders widerspiegelt, eine Bühnenkunst, die Raum für Kritik und Utopien ermöglicht, eine Bühnenkunst, die Fremdverstehen und Empathievermögen fördert. Insbesondere in Zeiten der diskursiven Polarisierungen und einer zunehmenden Kommunikationsunfähigkeit auf den Straßen und in sozialen Netzwerken stellt das Theater eine der letzten Bastionen für den Dialog dar.

Vor diesem Hintergrund zielen die Klagen der Kunstschaffenden nicht nur auf die konkreten Restriktionen, sondern stoßen eine generelle Diskussion über die Notwendigkeit kultureller Ausdrucksformen an. Eine bloß aktuelle Empörung reicht daher für den Intendanten des Schauspiels Stuttgart nicht aus. Um der Kunst auch in schweren Zeiten zu einer Legitimation zu verhelfen, fordert Burkhard Kosminski: »Die Kulturförderung sollte endlich auch im juristischen Sinne als staatliche Pflicht im Grundgesetz verankert werden und nicht länger eine freiwillige Ausgabe sein.« Gerade weil Letzteres aber noch der Fall ist, sind »in Zeiten knapper Kassen Tür und Tor für […] eine drastische Reduzierung des künstlerischen Angebots« geöffnet. Unterstützung künstlerischer Aktivität als Pflichtaufgabe für jede Kommune? Im Land der Dichter und Denker wäre dies eine richtige und wichtige Vision. Für sie lohnt es zu streiten - längerfristig! Und für den Moment?

Da sind die Aussichten schauerlich, für alle Sparten und Künste. Die Schließung nach dem Gießkannenprinzip könnte vielen Programmkinos, also allen voran jenen Lichtspielhäusern mit avancierten Filmen, nun den Rest geben. Selbst die vermeintlich unbesiegbaren Player der Branche, wie so manch millionenschwerer Verleiher, könnten ins Wanken geraten, da Filmstarts verschoben werden müssen und somit die Finanzierung der Produktionen unsicher sein dürfte.

Am härtesten treffen die faktischen Berufsverbote jedoch erneut die Solo-Selbstständigen, denen zumindest die letzten Hilfefonds (als Entschädigung für oftmals nicht vorhandene Betriebskosten) wenig nutzten. Ohne Auftritte gingen zahlreiche Kabarettisten, freischaffende Musiker und Schauspieler leer aus und waren zuletzt auf die Grundsicherung angewiesen. Man kann diese Fälle nur als ein buchstäbliches Armutszeugnis für eine Kulturnation bezeichnen. Ob, wie Finanzminister Scholz es nun avisiert, tatsächlich andere Formen der Finanzierungshilfe kommen, die sich möglicherweise am Verdienstdurchschnitt im Vorjahres-November bemessen, wird sich zeigen.

Staatlich subventionierte Einrichtungen hingegen mögen im November wirtschaftlich durchaus noch mit einem blauen Auge davonkommen. Doch die Enttäuschung gegenüber der Politik sitzt tief, wie der Intendant des Mannheimer Nationaltheaters Christian Holtzhauer betont: »Wir als städtischer Eigenbetrieb sind zwar - noch - in einer vergleichsweise abgesicherten Position, aber es fällt zunehmend schwer, die Sinnhaftigkeit unserer Arbeit zu erkennen. Künstlerische Arbeit ist ja immer ein Entwurf in die Zukunft. Man arbeitet auf etwas hin (…), nimmt Anlauf, will abspringen - nur um dann gegen eine Wand zu knallen, wie jetzt eben der neuerliche Lockdown. In dieser Situation durchzuhalten, kreativ zu bleiben, neue Ideen zu entwickeln, wird zunehmend schwieriger.«

Selbst wenn die Ministerpräsidenten der Bundesländer nun doch noch wollten, wäre ein Umsteuern für die kommenden vier Wochen nach all den Absagen der Veranstaltungen und aufwendigen Umplanungen nicht realisierbar. Also ist jetzt der Zeitpunkt zur Besinnung. Statt bürokratischer Antragsverfahren, die zu befürchten sind, bedarf es eines deutlichen Signals. So wäre beispielsweise ein befristetes Grundeinkommen für Freischaffende eine adäquate Maßnahme. Großen Einrichtungen könnte man wiederum mit einer verbesserten Planbarkeit entgegenkommen. Wer weiterhin geeignete Hygienekonzepte vorlegen kann, sollte beispielsweise eine feste Zusage für eine dreimonatige Betriebszeit erhalten. Solche Strategien trügen dazu bei, die wohl wichtigste Voraussetzung für künstlerisches Wirken zu gewährleisten: Kontinuität.

Wie die demokratische Teilhabe gehört das kulturelle Leben zur DNA einer jeden Gesellschaft. Setzt man beides aufs Spiel, droht uns der Verlust der gesellschaftlichen Identität. Auch sie sollte durch eine besonnene und differenzierte Infektionspolitik geschützt werden.

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