»Die von 14«

In Paris wurde des Ersten Weltkriegs und des Schriftstellers Maurice Genevoix gedacht

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Vierzig Jahre nach seinem Tod wurde der Schriftsteller Maurice Genevoix am Mittwoch feierlich in Paris ins Pantheon, die Ruhmeshalle der Nation, überführt. Die Umbettung am Jahrestag des Waffenstillstands von 1918 durchzuführen und damit nicht nur den Autor des Antikriegsepos »Die von 14«, sondern alle gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs zu ehren, war die Entscheidung von Präsident Emmanuel Macron. Er leitete dann auch am Nachmittag die Zeremonie im Pantheon, nachdem er am Vormittag traditionsgemäß einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten unter dem Triumphbogen niedergelegt und dort die Ewige Flamme neu angefacht hatte. Das Denkmal für den Unbekannten Soldaten gibt es seit genau 100 Jahren. An beiden Zeremonien konnten wegen der Pandemie nur wenige geladene Gäste teilnehmen, doch sie wurden live im Fernsehen übertragen.

Während der Französischen Revolution wurde entschieden, herausragende Persönlichkeiten durch ihre Überführung in die Krypta des ursprünglich als Kirche gebauten, aber nicht geweihten Pantheons zu ehren. Maurice Genevoix ruht jetzt an der Seite von mehr als 70 Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern, von den Philosophen Voltaire und Rousseau über die Schriftsteller Hugo und Zola bis zur Holocaust-Überlebenden und Europaparlamentspräsidentin Simone Veil.

Am Ersten Weltkrieg hatte Maurice Genevoix als junger Unterleutnant vom ersten Tag an teilgenommen. Im April 1915 wurde er schwer verwundet. Während seines siebenmonatigen Lazarettaufenthalts begann er, seine Eindrücke vom Krieg aus der Sicht der einfachen Soldaten schonungslos aufzuschreiben. Als Grundlage dienten ihm Notizen und Zeichnungen, in denen er in Gefechtspausen die alltäglichen Gräuel des Krieges festgehalten hatte. Das 1916 erschienene Buch »Vor Verdun« wurde wegen seines »defätistischen« Realismus von der Militärzensur zusammengestrichen. Erst nach dem Krieg konnte es vollständig erscheinen, als erstes Buch des vierbändigen Romanepos »Die von 14«, das in Frankreich dieselbe entlarvende Wirkung wie in Deutschland der Roman »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque hatte. Auch der zum 70-prozentigen Kriegsinvaliden erklärte Schriftsteller, der seine linke Hand nicht mehr benutzen konnte, wurde stark angefeindet. In seinem Werk nahm die Auseinandersetzung mit dem Krieg eine zentrale Rolle ein. 1925 erhielt er für seinen Roman »Raboliot« den Prix Goncourt, den höchsten französischen Literaturpreis. 1946 wurde er in die Académie française gewählt, deren Sekretär er von 1958 bis 1973 war.

Für die feierlichen Ehrung von Genevoix im Pantheon hatte Präsident Macron bei dem seit 30 Jahren in Frankreich lebenden deutschen Maler und Bildhauer Anselm Kiefer sechs Plastiken in Auftrag gegeben und beim französischen Komponisten Pascal Dusapin Musik bestellt. Die Plastiken, für die Kiefer getrockneten Schlamm, Stacheldraht, Waffenschrott und blutdurchtränkte Uniformstücke verwendete und die sich auf Schilderungen in den Büchern von Genevoix beziehen, werden im Pantheon bleiben. Es ist das erste Mal seit 100 Jahren, dass einem Künstler eine solche Ehre zuteil wird, und das allererste Mal, dass es sich dabei um einen Deutschen handelt. Die Aufführung der Musik von Pascal Dusapin wurde begleitet durch das Verlesen der Namen von 15 000 gefallenen Soldaten, stellvertretend für die 1,5 Millionen Opfer Frankreichs im Ersten Weltkrieg.

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