Die Autobranche setzt alles auf eine Karte

Elektroautos sind erst ab 300.000 Kilometer Laufleistung besser fürs Klima als Verbrennermotoren

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erwartet Rekord-Antragszahlen für die Förderung von E-Autos in diesem Jahr. »Die Innovationsprämie wirkt und treibt die Elektromobilität in Deutschland voran«, so der CDU-Politiker. Der sogenannte Umweltbonus ist Teil des Corona-Konjunkturpakets der Bundesregierung. Seit Juli können Käuferinnen und Käufer bis zu 9000 Euro als Prämie kassieren, wenn sie ein Elektrofahrzeug kaufen oder leasen. Seither steigen die Antragszahlen rasant, von wenigen tausend pro Monat auf 34.000 im Oktober. Doch ist das E-Auto wirklich die Antwort auf die Klimakrise? Zweifel daran weckt eine neue Studie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) in Düsseldorf.

Die führende Vereinigung von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern hat sich dafür ausgesprochen, nicht allein auf batteriebetriebene Elektromobilität zu setzen. In einer 40-seitigen Studie, die das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Auftrage des VDI erstellt hat, wird verglichen, wie viel Kohlendioxid Kompaktwagen mit unterschiedlichen Antriebsarten jeweils ausstoßen. Betrachtet wird die gesamte Lebensdauer, von der Produktion bis zum Recycling. Demnach stößt ein heute hergestelltes E-Auto erst ab einer Laufleistung von mehr als 300.000 Kilometern weniger Kohlendioxid aus als ein vergleichbarer Diesel-Pkw.

»Schuld« daran ist die Batterie, die üblicherweise in China produziert wird, überwiegend mit Kohlestrom. Werden die Batteriezellen dagegen in Europa hergestellt, fährt ein E-Auto nach rund 130.000 Kilometern einen Klimavorteil ein. Auch dieses ist für die Umweltbilanz eine eher ernüchternde Zahl. Zumal in der kürzlich veröffentlichten VDI-Studie »Ökobilanz von Pkws mit verschiedenen Antriebssystemen« der milliardenschwere Aufwand für die erst noch aufzubauende Infrastruktur unberücksichtigt blieb.

Ob Batterie, Brennstoffzelle oder Verbrennungsmotor - alle Antriebskonzepte haben noch große Potenziale, um zur CO2-Reduktion beizutragen, so VDI-Präsident Volker Kefer. »Wichtig ist uns aber, nicht allein auf Batteriefahrzeuge zu setzen, sondern auch die Brennstoffzelle und moderne Verbrennungsmotoren mit umweltfreundlicheren Treibstoffen wie Gas oder synthetischen Kraftstoffen weiter zu stärken.«

Trotz üppiger Subvention für E-Autos - Käufer sind hauptsächlich Firmen und öffentliche Institutionen - werden neun von zehn Neuwagen mit Benzin und Diesel angetrieben. Für private Fahrzeughalter sind E-Autos in der Anschaffung - auch nach Einbeziehung der aktuellen staatlichen Förderprämien - meist noch deutlich teurer. Dass die variablen Kosten pro Kilometer aufgrund des geringeren Preises von Strom gegenüber Benzin oder Diesel deutlich unter denen herkömmlicher Fahrzeuge liegen, macht da kaum Eindruck.

Für weitere Strecken nutzen Autofahrerinnen und Autofahrer lieber Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Das zeigen Carsharing-Angebote, bei denen die Kostenstruktur für beide Antriebsarten gleich ist, hat das ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim herausgefunden. »Mögliche Gründe dafür sind die Macht der Gewohnheit und Reichweitenangst«, vermutet Forschungsleiter Martin Kesternich. Politik und große Teile der Industrie setzen dennoch ganz auf den batterieelektrischen Antrieb. Eine solche einseitige Fokussierung hält der VDI für »kontraproduktiv«. Wichtig sei, auch die Brennstoffzelle und moderne Verbrennungsmotoren mit umweltfreundlicheren Treibstoffen »weiter zu stärken«. Forschung und Entwicklung müsse ergebnisoffen vorangetrieben werden.

Für Technologieoffenheit sprechen auch die Strategien der Konkurrenz. So hat Toyota laut Firmenangaben schon über 15 Millionen Hybridfahrzeuge weltweit verkauft - reine E-Autos fahren erst acht Millionen. Ein Hybridfahrzeug wird sowohl von einem Verbrennungsmotor als auch einem Elektromotor angetrieben, dessen Akku während der Fahrt aufgeladen wird. Toyota verkauft auch »Plug-in-Hybride«, die mit Hilfe einer externen Stromquelle geladen werden. Der japanische Konzern produziert außerdem wasserstoffbetriebene Fahrzeuge (mit und ohne Brennstoffzelle), die Elektrofahrzeuge »der nächsten Generation«.

Die Strategien von BMW, Daimler und Volkswagen, (fast) alles auf eine Karte zu setzen, hält Toyota-Berater Katsuhiko Hirose daher für einen schweren Fehler, sagte er dem »Spiegel«: »Was die deutschen Unternehmen machen, ist Selbstmord.« Toyota sieht sich als globalen Vorreiter des mobilen Umweltbewusstseins.

Doch wie die deutschen Ingenieure wollen sie vom einfachsten Weg zu besserer Umweltverträglichkeit nichts wissen: Weniger und kleinere Autos. Denn Experten warnen schon seit längerem, dass es nicht nur eine Antriebs-, sondern eine ganze Verkehrswende weg vom motorisierten Individualverkehr braucht, um der Klimakrise Herr zu werden. So ist das umweltfreundlichste Auto immer noch das, das gar nicht erst gebaut wurde.

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