- Sport
- Fußball
Und täglich grüßt Panenka
BALLHAUS OST: Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana
Jeden Morgen nach dem Aufstehen schaut der arme Sünder Uli Hoeneß mit einer Tasse Brennnesseltee nach oben. Ganz weit über ihm schwebt Herr Panenka aus Prag mit einem Glas Bier durch die Unendlichkeit.
Die tschechische Hauptstadt ist zu jeder Zeit eine Reise wert. Ich empfehle in weiser Voraussicht den Herbst 2021. Bis dahin heißt es auf dem Sofa sitzen und die geschenkten Stunden mit dem Studium des tschechischen Fußballs verbringen.
In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Alle Texte finden sie unter dasnd.de/ballhaus
Gegenwärtig tummeln sich gleich drei Prager Vereine in der höchsten Liga. Neben Slavia und Sparta sind es die göttlichen Bohemians. Sie waren mir wegen des Kängurus im Wappen und der Trikotfarbe Grün, die im Fußballosten nicht so häufig vorkam, sofort sympathisch. Daneben spielte der göttliche Antonin Panenka bis 1981 für die Klokani (Kängurus - und zugleich Kosename des Klubs), der 1976 in der Nacht von Belgrad im EM-Finale gegen die BRD dank seiner Elfmeterfinte in den Fußballolymp aufstieg.
Nachdem Uli Hoeneß den Ball in den Nachthimmel geknödelt hatte, lupfte Antonin Panenka seinen Elfer lässig in die Tormitte, derweil Sepp Maier schon in der linken Torecke döste. Unvergessliche Szenen, ich vergoss Tränen der Freude für meinen Klokani, indes Heinz Florian Oertel boshaft im DDR-Fernsehen den Namen des künftigen Steuerbetrügers Hoeneß mit falscher Betonung versah.
Es war das erste Finale einer Europameisterschaft, das im Elfmeterschießen entschieden wurde. Nach einem Remis hätte es auch ein Wiederholungsspiel geben können. Der siegessichere DFB hatte kurz vorm Finale das Elfmeterschießen beantragt, um den deutschen Spielern einen längeren Urlaub zu ermöglichen. Die Spieler erfuhren erst beim Aufwärmen von dieser ausgezeichneten Idee.
Ein Jahr nach dem ČSSR-Triumph stand ich staunend vorm Bohemians-Stadion Ďolíček und erfuhr, dass es übersetzt Mulde bedeutet, oder besser: geliebtes Muldchen. Der Weg für Panenka führte von dort 1981 in den Westen. Tschechoslowakische Kicker durften zu jener Zeit erst im Alter von 32 Jahren ins Ausland wechseln. Panenka blieb grün und wechselte für vier Jahre zu Rapid Wien. Auch, weil es in Wien eine tschechoslowakische Schule für seine Kinder gab. Dafür schlug er ein höher dotiertes spanisches Angebot aus. Einmal grün, immer grün.
»Der Mann mit den Radaraugen« - so nannte man Panenka wegen seiner genialen Freistöße, weil er in jeder gegnerischen Mauer das entscheidende Loch fand. Der Sympaticus beendete mit 45 Jahren seine Spielerkarriere in Österreich und kehrte in die Mulde zurück. Anfangs als Assistenztrainer, später als Präsident von Bohemians. Inzwischen ist er Ehrenpräsident.
Frecherweise hatte ihn im Spätsommer 2020 die böse Tante Corona am Wickel. Mit einem geschickten Tackling befreite er sich aus ihrer Umklammerung und wird im Herbst 2021 mit uns und im Ďolíček sein. Wir werden vor dem Spiel eine knusprige Klobasa futtern und sie mit Prager Bier herunterspülen. In der Halbzeit werden wir ein zweites Bier trinken. Unterdessen uns die letzten Sonnenstrahlen im improvisierten Biergarten im Stadion wärmen, trinken wir nach dem Sieg weiter Bier. Während der Bierzeremonie hält uns Herr Ecki Winterberg einen mehrstündigen Vortrag über das Wesen des Biers, die böhmische Eisenbahn und seine Bohemians. Ecki lebt in Leipzig und mag den dort ansässigen grünen Klub. Noch mehr liebt er die Bohemians und besucht sie seit Jahrzehnten regelmäßig Dank einer Permanentka (Dauerkarte).
Panenka wird sich naturgemäß für ein Bier zu uns gesellen und anschließend mit der Goldenen Kutsche in den Olymp aufbrechen. Er muss beizeiten ins Bett. Morgen wartet Uli.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!