»Große Fragen entscheiden die Männer!«

Die traditionellen Rollenbilder in Vietnam brechen nur langsam auf

  • Sarah Grieß, INKOTA
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Kleinbäuerin in Vietnam freut sich auf die bevorstehende Ernte.
Eine Kleinbäuerin in Vietnam freut sich auf die bevorstehende Ernte.

Als Quach Thi Yen ihr erstes selbst verdientes Geld in den Händen hält, strahlt sie übers ganze Gesicht: »Mein Mann und seine Familie sehen mich nun mit anderen Augen!« Zu verdanken habe sie das dem kleinen Gemüsebeet vor ihrem Haus, rund 90 Kilometer nördlich der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Dort hat sie in den vergangenen Monaten Kohlrabi, Tomaten, Gurken, Kohl und süßen Senf angebaut und nun erstmals zu Geld gemacht. »Ich habe immer geglaubt, der Mann sei die Säule eines Haushalts. Derjenige, der den Lebensunterhalt für die ganze Familie verdienen muss. Und dass die Frau nur den Haushalt erledigt und sich um die Kinder kümmert.« Fast entschuldigend fügt sie hinzu: »Alle meine Familienmitglieder denken so. Seit meiner Kindheit wurde mir das so beigebracht.«

Tatsächlich sind traditionelle Rollenbilder in Vietnam noch immer weit verbreitet, obwohl das Land in den vergangenen Jahren durchaus Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter gemacht hat. In den Bereichen Schulbildung und Gesundheit hat sich die Kluft zu den Männern zum Beispiel deutlich verringert. Auch die Einkommen konnten merklich angeglichen werden, sieht man vom informellen Sektor einmal ab. Mehr und mehr Frauen übernehmen Führungspositionen und besetzten politische Ämter. Aber die an sie gerichteten Erwartungen hinsichtlich ihrer Rolle als fürsorgliche Mutter und Ehefrau können sie dabei nur selten abstreifen.

Das berichtet auch Bui Kim Phuong, Vorsitzende der Frauenunion im Distrikt Dong Hy: »Als ich mit 31 Jahren Vize-Vorsitzende wurde, haben mir viele nicht zugetraut, dass ich das kann. Heute bin ich 45 Jahre alt und habe diese Probleme nicht mehr. Für mich als Frau ist der Job aber viel härter, weil ich mich neben den vielen Verpflichtungen auch noch um Kinder und Haushalt kümmern muss.« Während Männer in vergleichbaren Positionen bereits ihren Feierabend genießen, hetzt sie nach Hause. Sie kocht, macht den Haushalt und bringt die Kinder ins Bett. Freizeit bleibt ihr nicht.

Es heißt, Frauen würden bis zu 40 Prozent mehr arbeiten als Männer. Es ist primär diese Doppelbelastung, die Frauen in besonderem Maße diskriminiert. Sie verhindert eine gleichberechtigte Teilhabe an Diskussions- und Entscheidungsprozessen, im Politischen wie auch im Privaten.

Dieser Meinung ist auch Diep Thi Dan, die wie Yen im Dorf Cau Luu lebt. »Wir leben noch immer in einem Patriarchat. Über die großen Fragen entscheiden die Männer.« Und etwas entrüstet fügt sie hinzu: »In manchen Familien wissen die Frauen nicht einmal, wie viel durch den Verkauf ihrer Waren verdient wurde!« Ihre Situation sei speziell. Ihr Mann ist das ganze Jahr als Wanderarbeiter unterwegs und kaum zu Hause, sodass er viele Entscheidungen ihr überlasse. Aber die Regel sei das nicht.

Das zu ändern, ist ein Ziel der INKOTA-Partnerorganisation DWC. Diese setzt sich dafür ein, die gesellschaftliche Stellung von Frauen zu verbessern. Indem sie Frauen wie Yen eigene Einkommensmöglichkeiten eröffnet, hilft sie ihnen, unabhängiger und selbstbewusster zu werden. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung, damit sich Frauen aktiv an Entscheidungsprozessen innerhalb ihrer Gemeinden beteiligen. Im Dorf Cau Luu sind die ersten Erfolge bereits spürbar. So meint Diep Thi Dan: »Die Frauen in unserem Dorf sind mutiger geworden, seit sie an dem Projekt teilnehmen. Früher haben sie sich nicht getraut, sich in Versammlungen zu äußern. Jetzt ist das anders.«

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