Neonazis vor Gericht

Rechte Angeklagte aus Einbeck attackierten Flüchtlingshelferin

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Verhandlungsaal ist nicht sehr groß, Sie werden zusammenrücken müssen«, sagt Thomas Döhrel am Montagmorgen. Döhrel ist Direktor des Amtsgerichts Einbeck. Dort müssen sich von Dienstag an zwei Neonazis aus der niedersächsischen Kleinstadt wegen eines Sprengstoffanschlags verantworten. Zuschauer aus der rechtsextremen Szene werden ebenso erwartet wie linke Prozessbeobachter, auch viele Medienvertreter haben sich angekündigt.

Angeklagt sind ein 26-Jähriger und ein 24-Jähriger. Sie sollen am Morgen des 10. Juni 2020 einen nicht zugelassenen »Polenböller« gezündet und in den Briefkasten einer Wohnung geworfen haben. Dort lebt eine Frau, die sich gegen Rechtsextremismus und für Flüchtlinge engagiert, unter anderem in der Initiative »Seebrücke«. Der Sprengsatz war explodiert und hatte den Briefkasten beschädigt. »Die Sprengwirkung war so stark, dass Trümmer des Briefkastens mehrere Meter weit in den Wohnbereich geschleudert wurden«, so der Göttinger Rechtsanwalt Rasmus Kahlen. Das Ausmaß der angerichteten Zerstörung zeige, wie gefährlich der Sprengsatz offensichtlich gewesen sei: »Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn sich ein Mensch hinter der Tür befunden hätte.«

Ein Beschuldigter erlitt bei der Explosion Verletzungen an beiden Händen. Eine Blutspur führte nach Angaben der Ermittler vom Tatort bis zur Wohnung des 26-Jährigen. Eine Hand sei bei Ankunft der Polizei verbunden gewesen, der Mann habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. Der zweite mutmaßliche Täter wohnt in derselben Wohnung. Beide Männer wurden vorläufig festgenommen, sie sitzen seit 18. Juni in U-Haft.

Die Generalstaatsanwaltschaft Celle, die das Verfahren wegen des offensichtlich politischen Hintergrundes an sich gezogen hat, wirft den Angeklagten Sachbeschädigung, versuchte schwere Brandstiftung und versuchte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vor. Sie hätten »als bekennende Anhänger rechten Gedankenguts« durch die Tat ihre Missachtung für die Geschädigte und deren Tätigkeit für die Organisation »Seebrücke« zum Ausdruck bringen, ihr einen »Denkzettel« verpassen und sie einschüchtern wollen. Um das Ziel zu erreichen, hätten sie beabsichtigt, einen »größtmöglichen Schaden« im Gebäude durch die Explosion und einen dadurch entstehenden Brand hervorzurufen.

Für die Bildung einer kriminellen Vereinigung oder Mitgliedschaft darin haben die Ermittlungen laut Generalstaatsanwaltschaft keine hinreichenden Anhaltspunkte ergeben. Auch Ermittlungen gegen einen 21-Jährigen seien mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Möglicherweise hat erst eine polizeiliche Panne den Sprengstoffanschlag ermöglicht: Bei einer früheren Durchsuchung bei den Angeklagten hatten Beamte den beim Anschlag benutzten Böller nach nd-Informationen zunächst sichergestellt, später aber wieder zurückgegeben.

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Einbeck gilt als Hochburg von Neonazis. Die rechtsextreme »Kameradschaft Einbeck« und die Partei »Die Rechte« sind in der Stadt aktiv. Für die Region – Südniedersachsen und das benachbarte thüringische Eichsfeld – listet das Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen allein für 2019 mehr als 400 rechtsextremistische Vorfälle auf.
Der 26-jährige Angeklagte ist mehrfach vorbestraft. Zuletzt war er im Oktober vom Amtsgericht Einbeck zu sieben Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden: Wegen Vortäuschens einer Straftat und wegen Bedrohung – unter anderem gegen die Frau, die auch Ziel des Sprengstoffanschlages war. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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