Im Dienste der Vernichtung

Vor 80 Jahren kam der antisemitische Hetzfilm »Der ewige Jude« raus.

  • Ingrid Heinisch
  • Lesedauer: 5 Min.

Ich habe in meinem Leben viele ekelerregende Filme anschauen müssen, ich kann mich trotzdem nicht erinnern, einen schlimmeren als diesen gesehen zu haben: »Der ewige Jude.« Er ist nicht nur ekelerregend, er ist perfide, denn er begleitete eine Kampagne, die die endgültige Vernichtung zuerst der deutschen, dann der europäischen und letztendlich der Juden auf der ganzen Welt zum Ziel hatte. Das war kein Film, den Fritz Hippler nach seinem eigenen Gusto produzierte, die Herstellung war dem Propagandaminister Goebbels direkt unterstellt. Auch Hitler verlangte immer wieder Änderungen, es entstand eine Version nach der anderen. Es sollte der perfekte Propagandafilm sein, der dann vor 80 Jahren seine Uraufführung im Ufa-Palast in Berlin hatte.

Es beginnt ganz harmlos: Da sind Bilder von gut gekleideten Menschen. Juden, wie der Sprecher aus dem Off erklärt. Es wechselt, sie wirken schon nicht mehr so ganz harmlos. Ist das Lächeln dieses Mannes nicht höhnisch, sogar fies? Und dann plötzlich sind es die Bilder von Menschen in Ghettos, abgerissen und schmutzig, der Sprecher teilt uns mit: »Die zivilisierten Juden, welche wir aus Deutschland kennen, geben uns nur ein unvollkommenes Bild ihrer rassischen Eigenart. Dieser Film zeigt Originalaufnahmen aus den polnischen Ghettos, er zeigt uns Juden, wie sie in Wirklichkeit aussehen, bevor sie sich hinter der Maske des zivilisierten Europäers verstecken.«

Die Aufnahmen stammen aus den Ghettos, die die Nazis im besetzten Polen errichteten, vor allem aus Łódź. Wenig später folgt der Kommentar zu den schlimmen beengten Lebensverhältnissen: »Durch jahrzehntelangen Handel haben sie genügend Geld angehäuft, um sich und ihrer Familie ein sauberes und behagliches Heim schaffen zu können. Aber sie wohnen Generationen hindurch in denselben schmutzigen und verwanzten Wohnlöchern.« Spätestens jetzt, nach den ersten fünf Minuten, müsste jedem Betrachter klar sein: Das kann nicht stimmen. Wozu Geld anhäufen, um dann nicht in Luxus zu schwelgen statt im Dreck zu hausen?

Aber auf den Verstand seiner Zuschauer zielt der Film ja nicht ab, getarnt als Dokumentarfilm war »Der ewige Jude« wohl »der radikalste Hetzfilm aller Zeiten«, so der Filmhistoriker Franz Noack. In Łódź lebten Deutsche und Polen, ob jüdisch oder katholisch, bis zum Krieg ohne große Konflikte miteinander. Die Stadt war von der Textilindustrie geprägt. Zwei Monate, nachdem die Deutschen Polen besetzt hatten, errichteten sie in Łódź, jetzt Litzmannstadt, eines der ersten Ghettos. Alle Juden der Stadt wurden dort eingesperrt, schon im Januar 1940 war alles vollkommen abgeriegelt.

Noach Flug, der spätere Vorsitzende des Internationalen Auschwitz-Komitees (IAK), und seine Frau Dorota haben sich dort als Jugendliche kennen gelernt. Nicht nur, dass ihnen alles genommen wurde, auch Bildung verweigerten ihnen die Nazischergen. So wurde Kultur ihr höchstes Gut. »Jedes Buch galt als ein Schatz. Es wurde gehegt und gepflegt und von einem zum anderen weitergegeben«, hat Dorota Flug mir einmal erzählt. Die Jugendlichen mussten in der Rüstungsindustrie arbeiten. Sie leisteten Widerstand. »Es war nichts Großes, was wir machten«, erinnerte sie sich. »Langsam arbeiten, das war Widerstand. Streiks um eine etwas bessere Suppe. Wir bekamen ein Stück Brot für mehrere Tage. Wir waren immer hungrig. Aber wir haben ein ganz kleines Stückchen abgezweigt, für diejenigen von uns, die schon vor Hunger dem Tode nahe waren.«

Auch der jetzige Vorsitzende des IAK, Roman Kent, stammt aus Łódź und musste als Kind mit seiner Familie das Elternhaus verlassen und es gegen eine schäbige Einzimmerwohnung eintauschen. Auch er durfte nicht mehr zur Schule gehen. Aber am schlimmsten traf es ihn, als der Befehl kam, dass die Ghettobewohner alle Haustiere abgeben mussten: »Die Erinnerung an diese Hündin bricht mir immer noch das Herz.« Kent hat seiner Hündin Lala sogar ein Kinderbuch gewidmet. So wie er seinen Kindern und Enkeln von Lala erzählt hat und ihnen so die Grausamkeit der Nazis besser veranschaulicht hat, als er es mit Geschichten aus Auschwitz gekonnt oder gewollt hätte. Roman Kent wie auch Noach und Dorota Flug haben Auschwitz überlebt. Sie waren jung, sie waren widerstandsfähig, sie hatten Glück. Die meisten ihrer Familienmitglieder nicht. Nach dem Krieg haben sie ihre Heimat verlassen, Roman Kent in die USA, die Flugs nach Israel. Der Plan Hitlers, die Juden gänzlich zu vernichten, ist nicht aufgegangen.

Die Deutschen darauf einzustimmen, das war das Ziel von »Der ewige Jude«. Zwei Monate zuvor hatte der Spielfilm »Jud Süß« Premiere, beide Filme gehörten zur Strategie, die »Endlösung« vorzubereiten. »Der ewige Jude« endet deshalb konsequent mit der Sequenz einer Rede Hitlers und mit Bildern jubelnder Deutscher: »Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!«

Die Idee ist ja nicht aus der Welt. Im Gegenteil, sie nimmt gerade wieder Fahrt auf. Kent wie auch dass Ehepaar Flug haben ihr weiteres Leben der Aufklärung gewidmet, um einen zweiten Holocaust zu verhindern. Es erscheint absurd, dass sie sich überhaupt gegen die Vorurteile, die mit diesem Film geschürt wurden, bis heute wehren müssen. Haben sie jemals »Der ewige Jude« gesehen? Es ist wahrscheinlich. Ich habe sie nicht gefragt und hoffe doch, es sei ihnen erspart geblieben.

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