Migrationsforscher: Finanziell Schwache in Corona-Hotspots nicht stigmatisieren

Andreas Pott: Wenn Menschen sich in Wohnblocks in großer Zahl mit dem Virus ansteckten, seien sie in erster Linie Leidtragende

  • Lesedauer: 2 Min.

Osnabrück. Der Osnabrücker Migrationsforscher Andreas Pott hat davor gewarnt, Menschen in Corona-Hotspots in städtischen Brennpunkten für ihr angeblich amoralisches Verhalten zu stigmatisieren. Wenn Menschen sich in Wohnblocks wie etwa in Göttingen oder in Helmstedt in großer Zahl mit dem Virus ansteckten, seien sie in erster Linie Leidtragende, sagte der Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) dem Evangelischen Pressedienst. »Sie leben in beengten Verhältnissen und leisten oft schwere Arbeit, bei der sie mit vielen Menschen zusammenkommen und die sie nicht ins Homeoffice verlegen können.«

Dass Menschen in segregierten, also abgetrennten Vierteln mit hohem Anteil von Migranten und finanziell Schwachen sich leichter infizierten und das Virus weitergäben, sei die logische Konsequenz, sagte Pott. Der Professor für Sozialgeographie an der Universität Osnabrück kritisierte, dass die Medien darüber fast ausschließlich im Zusammenhang mit Großveranstaltungen wie Hochzeiten berichteten.

So komme der Verdacht auf, die Menschen scherten sich nicht darum, dass sie das Virus weitergeben. Tatsächlich wolle niemand krank werden, »es war aber schon immer so, dass Pandemien sich in hoch verdichteten und ärmeren Vierteln schneller ausgebreitet haben«, betonte Pott.

Die in diesen Stadtteilen lebenden Menschen würden in der Regel zudem nicht mit für sie verständlichen Informationen über die Pandemie versorgt, kritisierte der Migrationsforscher: »Die schauen nicht jeden Abend das 'heute journal'«. Es reiche auch nicht aus, fremdsprachige Flyer zu verteilen. »Die Leute haben aber alle ein Handy.«

In Schweden etwa ereichten die Behörden die Menschen sehr gut über die sozialen Netzwerke. Zudem suchten die staatlichen Stellen Kontakte zu Kirchen, Vereinen, Moscheen und Migrantenselbstorganisationen, die in den sozialen Brennpunkten präsent seien.

Auch Quartiersmanager, die in einigen deutschen Städten etwa über das Bundesprogramm »Soziale Stadt« schon länger eingesetzt würden, leisteten in der Coronakrise erfolgreiche Arbeit, sagte Pott: »Es ist wichtig, dass Fachkräfte nah dran sind an den Menschen und wissen, was in diesen Vierteln passiert.«

Insgesamt beurteilt Pott die soziale Lage in Deutschland derzeit allerdings als eher moderat. »Der gute Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahrzehnten hat trotz der erst spät einsetzenden Integrationspolitik zu Integration geführt.« Anders als etwa in Frankreich oder den USA existierten kaum reine Migrantenviertel. Die Entstehung ärmerer Stadtteile lasse sich in einer Marktwirtschaft nicht komplett verhindern. Dennoch sollte sich der deutsche Staat sich über den sozialen Wohnungsbau wieder mehr Einflussmöglichkeiten verschaffen. epd/nd

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