Erfüllung macht nicht immer glücklich

»Darkroom - Tödliche Tropfen« von Rosa von Praunheim verfilmt

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB genannt, findet in seiner Vorläufersubstanz GBL Verwendung als Felgenreiniger. Seit ein paar Jahren ist es besonders in Metropolen, vor allem unter jungen Schwulen Mode, sich die höchst giftige und ätzende Substanz regelmäßig hinter die Binde zu kippen. Dabei unterscheiden schon ein paar Tropfen Dosierung die Wirkung erheblich. Im besten Fall macht das Zeug high und geil, ein Rauschzustand ähnlich dem von Alkohol, gemischt mit der Sexdroge Poppers, nur weniger belämmert. Ein paar Milliliter mehr jedoch - und schon treten vorübergehend Müdigkeit, Bewusstlosigkeit oder Atemnot auf. Rutscht die Pipette aus, vielleicht hat man zuvor schon ein paar Bier gekippt, droht der schnelle Tod durch Atemstillstand. GBL ist leicht erhältlich, da industriell genutzt und per se nicht illegal, sein Suchtpotenzial wurde lange unterschätzt. Ein Entzug von »G« (sprich: »Tschi«) ähnelt dem Entzug von Alkohol, dessen Begleit- und Folgeerscheinungen den Heroinentzug in punkto Dauer und Intensität mit Leichtigkeit übersteigt.

Rosa von Praunheim weiß, was Schwule bewegt. Mit 78 Jahren überblickt er die aktuellen Befindlichkeiten und Tragödien seiner Community immer noch wie kein Anderer. Der Mann ist höchst produktiv, schreibt ständig Bücher und Filme, malt Blumen und Schwänze in wechselnder Qualität, aber immer auf hohem Niveau. Vergangenen Freitag erschien sein neuer Spielfilm »Darkroom - Tödliche Tropfen« auf DVD und im Internet zum Streamen. Darin geht es um den Fall des Berliner Darkroom-Mörders Dirk P., der 2012 innerhalb von drei Wochen drei Homosexuelle mit der genannten Modedroge tötete und ihnen die Brieftaschen raubte. Sein Umfeld zeigte sich von der Psychopathie des Dirk P. völlig überrascht, er führte eine funktionale Beziehung, arbeitete beruflich als angehender Grundschullehrer im Referendariat.

Selbstverständlich ist die Rauschsubstanz nur Beiwerk einer vielschichtigen Erzählung aus dem Milieu, von Praunheim gelingt es, sie zu jeder Zeit klug und empathisch zu erzählen. Bei so viel Hang zum Kitsch, zum Camp, zum Trash und zum beißenden Sarkasmus in der Szene ist das eine bemerkenswerte Leistung - selbst dem Jungspund John Waters (74) gelang ein derartig komplexes Werk nur selten. Rosa von Praunheim stellt seine Protagonisten aus: Lars heißt sein Mörder, er ist ein kleinbürgerlicher Pedant, der für sein teures, englisches Sofa die Möbelpacker bis zur Absurdität drangsaliert. Sein zwanghaftes Klammern an Heim und Haus hat Gründe: Die Welt der Schwulen verdrängt sein Leid, gibt ihm aber keinen Halt. In Saarbrücken arbeitet Lars in einer Schwulenbar und hat viel Sex. Wie viele homosexuelle Männer sehnt er sich nach einer monogamen Beziehung. Ihm ist das Glück hold, er zieht nach Berlin und, wird auch wieder mit der rastlosen Gier nach dem schnellem Koitus konfrontiert.

Auch darüber will der Film reden: über das Scheitern und Funktionieren der sogenannten »offenen Beziehung«, die schwule Männer immer öfter als Kompromiss aus Vertrauen, Liebe und Geilheit ausprobieren. Wer Wärme und Geborgenheit in Anspruch nehmen möchte, muss ab einem gewissen Punkt lernen, das Handy auszuschalten. Heute ist das sogenannte Sex-Dating omnipräsent, Apps wie Grindr oder der klassiker GayRomeo verführen Tag und Nacht zum Seitensprung. Ob die ständige Erfüllungsmöglichkeit aller unmittelbaren Triebe und Bedürfnisse besonders glücklich macht, beantwortet Rosa von Praunheim selbstverständlich nicht. Der Mann ist kein Dogmatiker, er legt seiner Peergroup aber regelmäßig sanft nahe, über ihre Definition von der eigenen Befreiung noch einmal nachzudenken. Lars findet am Ende des Films zurück zur Bibel seiner Großmutter. Nun, so weit muss es nicht kommen.

An der Grenze zur Lächerlichkeit bewegen sich Leben und Sterben dauernd. Besonders der Tod bekommt in den 89 Minuten Leinwandzeit sein Fett weg. Reihenweise »nippeln« sie ab, ihr Dahinscheiden ist an sich unbegreifbar, schmucklos und skurril, die Folgen sind aber für die Angehören und Hinterbliebenen von einer emotionalen Tragweite, die der klinische Herzstillstand nicht vermuten lässt.

Was Mord ist und was Mord bedeutet, will Rosa von Praunheim zeigen. Božidar Kocevski spielt den Mörder widersprüchlich, schwach und liebesbedürftig, dann wieder kalt und motorisch, wie es das paradoxe Motiv seiner Taten nahelegt. »Darkroom - Tödliche Tropfen« ist kein Kriminalfilm, trotzdem stellt er die alte Hitchcock-Frage »Whodunnit?« (Wer hat es getan?). Am Ende - das wissen wir seit einem mindestens einem halben Jahrhundert - ist nämlich nicht der Homosexuelle pervers, sondern die Situation, in der er lebt.

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