Kein Weihnachtswunder

Die Erwartungen an die Corona-Impfstoffe sind überzogen.

»Das Impfen ist der Weg raus aus dieser Pandemie.« Bundesgesundheitsminister Jens Spahn lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass im neuen Jahr in Sachen Corona nichts als Optimismus angesagt ist. Jetzt noch den harten Lockdown über die Feiertage durchstehen, dann naht die Rettung in Gestalt von »BNT162b2«. Beginnen sollen die Impfungen mit dem Produkt der Pharmaunternehmen Biontech und Pfizer am 27. Dezember - das sieht die von Spahn am Freitag unterzeichnete Verordnung vor, die auch eine Prioritätenliste enthält, welche Gruppen als erstes in den Genuss eines Doppel-Pikser kommen: medizinisches Personal auf Intensivstationen, in Notaufnahmen, im Rettungsdienst sowie Personal im ambulanten Pflegebereich.

Letzteres zeigt, dass, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, relativ wenige Dosen vorhanden sein werden. Ein Grund dafür ist das internationale Gerangel darum. Das gilt auch dann, wenn der am Freitag im Bundestag wiederholte Ruf von UN-Generalsekretär António Guterres, Corona-Impfstoffe müssten ein »globales öffentliches Gut« sein, kaum Gehör findet. Es gibt weitere Hürden für schnelles Durchimpfen; man muss dabei nicht einmal an die Gruppe der dumpfen Impfgegner denken. Im Unterschied zu gängigen Grippe-Impfstoffen ist »BNT162b2« bei mindestens minus 70 Grad zu lagern, sodass die flächendeckende Verteil-Infrastruktur der Hausarztpraxen wegfällt. Und dann kommt ein mRNA-Impfstoff, bei dem eine Art Bauplan von Virusteilen injiziert wird, auf die das Immunsystem mit Bildung von Antikörpern reagiert, zum allerersten Mal zum Einsatz. Dicke Fragezeichen bleiben daher bei Wirksamkeit und Nebenwirkungen, auch wenn klinische Tests Grund zu Optimismus bieten. Außerdem: Für großflächige Impfkampagnen braucht es weitere Zulassungen. Doch bei anderen Kandidaten war die Wirksamkeit zum Teil recht gering; es kam auch zu einzelnen Todesfällen, die gerade untersucht werden.

Hinzu kommt ein grundsätzliches Problem: Laut einer im Fachblatt »The Lancet« veröffentlichten Studie der Universität Hongkong sind allzu große Erwartungen zumindest an die Impfstoffe der ersten Generation fehl am Platz. Es sei nicht davon auszugehen, dass sie, auch wenn sie die Schwere einer Covid-19-Erkrankung reduzieren, »die Virusübertragung in vergleichbarem Maße verringern werden«, heißt es darin. Sprich: Wer geimpft ist, kann weiterhin andere anstecken.

Die Eindämmung des Coronavirus - und der erneute Herbst-Anstieg

Natürlich haben sich schon viele Studien zu Sars-CoV-2 als nur begrenzt aussagekräftig erwiesen, vielleicht wird die Wirksamkeit doch höher sein. Aber die Strategie, mit kurzen, harten Lockdowns die Zeit bis zur Impfrettung zu überbrücken, baut auf falschen Erwartungen auf. Und sie ist offenbar wenig effektiv, wie die aktuelle Rekordzahl von 30 000 Neuinfektionen zeigt. Das Gros der Ansteckungen findet im privaten Raum statt, wo die AHAL-Regeln kaum eingehalten werden. Die Politik hat sich zu sehr auf Schulen, Kitas und Geschäfte kapriziert, quasi um den unmöglichen Schutz aller. Gezielter Schutz der Risikogruppen, um schwere Erkrankungen zu minimieren, wurde vernachlässigt. Daher sind die Intensivstationen am Rand ihrer Kapazitätsgrenze. Dass etwa in Berlin laut aktuellen Zahlen die starke Zunahme der Corona-Todesfälle vor allem auf Pflegeheimbewohner zurückgeht, zeigt, was schiefgelaufen ist.

Letztlich ist das Impfen nicht die Lösung, sondern ein Baustein im langfristigen Umgang mit dem neuartigen Coronavirus. Das Ausmaß wird sich reduzieren lassen - Sars-CoV-2 wird bleiben.

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