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+++ Neue Virusvariante und Impfstoff-Wirksamkeit: »Kein Grund zur Sorge« +++

Der Newsblog zur Coronakrise - Sonntag, 20. Dezember 2020: +++ Einschränkung von Flügen aus Großbritannien »ernsthafte Option« +++ Großer Ansturm auf Schnelltest-Zentren kurz vor Weihnachten +++

  • Lesedauer: 16 Min.

Berlin. Die Wirksamkeit des Corona-Impfstoffes wird durch die in Großbritannien aufgetauchte neue Variante des Virus nach Expertenansicht vermutlich nicht entscheidend beeinträchtigt. »Ich sehe da derzeit keinen Grund für Alarm«, sagte Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel.

Auch Andreas Bergthaler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM) in Wien hält die derzeitige Entwicklung nicht für »wahnsinnig alarmierend«. Dass Mutationen auftauchen, sei nicht ungewöhnlich. Derzeit wisse man nicht, ob die beobachteten Veränderungen die Eigenschaften des Erregers überhaupt entscheidend verändern.

Seit einigen Wochen breitet sich im Südosten Englands eine Coranavirus-Variante aus, die ersten Erkenntnissen zufolge ansteckender ist als bisherige Varianten. Dass diese Variante sich schneller ausbreite, sei grundsätzlich plausibel, sagte Neher. Wenn sich das bestätige, seien deutlich schärfere Maßnahmen nötig, um die Ausbreitung des Coronavirus wie gewünscht einzudämmen. Denkbar sei aber auch, dass die derzeitige verstärkte Ausbreitung dieser Variante letztlich Zufall sei und etwa auf ein Superspreading-Event zurückgehe.

Mit Blick auf die Wirksamkeit der Impfung betonen die Experten, dass der Impfstoff eine Immunreaktion gegen gleich mehrere Virusmerkmale erzeugt. Veränderungen einzelner Merkmale würden deshalb nicht dazu führen, dass das Immunsystem den Erreger nicht mehr erkenne, sagte Neher. Man müsse die weitere Dynamik genau beobachten.

+++ Neue Virus-Variante in England +++

Bestätigte Covid19-Neuinfektionen in Deutschland

London. Besorgt blicken Wissenschaftler und Politiker auf eine neue Variante des Coronavirus, die sich derzeit rasch im Südosten Englands ausbreitet. Das Land stehe vor einer enormen Herausforderung, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock am Sonntag dem Sender Sky News. Nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler ist die kürzlich entdeckte Variante um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form.

Um das Virus einzudämmen, gilt seit Sonntag in der Hauptstadt London und weiten Teilen Südostenglands ein harter Shutdown mit Ausgangssperren, auch über die Weihnachtstage. Mehr als 16 Millionen Menschen sind betroffen. Hancock schloss nicht aus, dass die schärferen Maßnahmen »in den kommenden Monaten« in Kraft blieben.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) twitterte in der Nacht zum Sonntag, sie stehe mit Großbritannien in engem Kontakt. Die britischen Behörden würden weiter Informationen und Ergebnisse ihrer Analysen und Studien teilen. »Wir werden die Mitgliedstaaten und die Öffentlichkeit auf dem Laufenden halten, sobald wir mehr über die Merkmale dieser Virus-Variante und deren Auswirkungen erfahren.« Die WHO riet, weiter alle Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Niederlande reagierten bereits und untersagten alle Flüge nach und aus Großbritannien.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan zeigte Verständnis für den Shutdown, bei dem auch nicht lebensnotwendige Geschäfte und Einrichtungen schließen müssen. »Es ist das Hin und Her, das zu so viel Angst, Verzweiflung, Traurigkeit und Enttäuschung führt«, sagte Khan am Sonntag der BBC. »Wenn wir unsere Meinung immer wieder ändern, macht es das Leuten wie mir wirklich schwer, die Menschen zu bitten, uns zuzuhören.«

Wegen der Ausbreitung der neuen Variante wurde für London und andere Regionen in Südostengland die höchste Corona-Stufe 4 eingeführt. Einwohner dürfen dieses Gebiet seit Sonntag nicht verlassen. Nach Bekanntgabe der schärferen Maßnahmen machten sich zahlreiche Menschen dennoch am Samstagabend spontan auf den Weg, um aus London abzureisen. Fotos und Videos zeigten volle Bahnhöfe. »Was Sie gestern gesehen haben, war eine direkte Folge der chaotischen Art und Weise, wie die Ankündigung gemacht wurde«, sagte Khan.

Er habe Verständnis, dass Menschen in letzter Sekunde, bevor die Reiseverbote greifen, zu ihren Familien reisen wollen. »Aber es ist falsch«, sagte der Bürgermeister. Und mit Blick auf Corona-Impfmittel fügte er hinzu: »Wie werden Sie sich fühlen, wenn Sie das Virus an ältere Verwandte, geliebte Menschen weitergeben, deren Leben wegen des Vakzins lang und fruchtbar sein könnte, der sich aber dadurch mit dem Virus infiziert und - Gott bewahre - stirbt?«

Der deutsche Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) warnte vor Mutationen des Coronavirus. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass Mutationen die Ansteckungsgefahr erhöhen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Sonntag). »Das ist ein weiterer Grund dafür, dass die zweite Welle nicht so stark werden darf. Je mehr Ansteckungen man zulässt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch gefährlichere Mutationen folgen. Das ist quasi ein Teufelskreis: Mehr Ansteckungen führen zu mehr Mutationsgelegenheiten und damit zu mehr Mutationen. Diese wiederum führen zu mehr Ansteckungen. So geht es dann immer weiter.«

+++ Niederlande verbieten Flüge aus Großbritannien wegen neuer Corona-Mutation +++

Den Haag. Um die Ausbreitung einer in Großbritannien aufgetretenen neuen Variante des Coronavirus zu verhindern, dürfen aus dem Königreich kommende Passagiermaschinen vorerst nicht mehr in den Niederlanden landen. Diese Regelung gelte von Sonntagmorgen bis zum 1. Januar, erklärte die Regierung in Den Haag. Sie teilte zudem mit, dass ein Fall der neuen Mutation, die offenbar besonders ansteckend ist, auch in den Niederlanden entdeckt wurde.

Die nationale Gesundheitsbehörde habe deshalb empfohlen, »das Eindringen dieser Virusvariante aus Großbritannien so weit wie möglich zu verhindern«. Deshalb habe das Kabinett von Regierungschef Mark Rutte »vorsichtshalber« das Verbot von Flügen aus Großbritannien beschlossen.

Das Flugverbot sollte am Sonntag um 06.00 Uhr in Kraft treten und bis zum 1. Januar gelten. Mögliche Regeln für andere Verkehrswege würden derzeit überprüft, erklärte das Gesundheitsministerium weiter. Zudem solle mit anderen EU-Staaten darüber beraten werden, mit welchen Schritten eine Ausbreitung der neuen Corona-Mutation verhindert beziehungsweise begrenzt werden könne.

Auf jeden Fall solle auf Reisen wenn irgendwie möglich verzichtet werden, appellierte das Ministerium an die Niederländer, die sich derzeit in einem harten Lockdown befinden: Unter anderem sind Schulen und alle nicht für den täglichen Bedarf notwendigen Geschäfte bis Mitte Januar geschlossen.

Zu dem in den Niederlanden aufgetretenen Corona-Fall mit der neuen Mutation erklärte das Ministerium, dieser sei Anfang Dezember entdeckt worden. Es handele sich ersten Ergebnissen zufolge um »die in Großbritannien beschriebene Variante«. Experten überprüften derzeit, wie es zu dieser Infektion gekommen sei und ob es damit zusammenhängende Fälle gebe.

+++ Einschränkung von Flügen aus Großbritannien für Deutschland »ernsthafte Option« +++

Berlin. Nach dem Auftreten einer Mutation des Coronavirus in Großbritannien ist auch für Deutschland die Einschränkung des Flugverkehrs aus dem Königreich eine »ernsthafte Option«. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag aus Kreisen des Bundesgesundheitsministeriums erfuhr, gelte dies wegen einer neuen Variante des Coronavirus auch für Südafrika.

Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte, die Entwicklung in Großbritannien werde sehr genau verfolgt. »Mit Hochdruck« würden die von dort vorliegenden Informationen zu der Mutation ausgewertet. Die Bundesregierung sei dazu auch in Kontakt mit ihren europäischen Partnern.

Die Niederlande hatten die dort vorerst bis zum 1. Januar geltenden Einschränkungen damit begründet, dass die Mutation des Coronavirus sich leichter und schneller verbreiten soll und schwieriger zu entdecken sei. Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, schrieb am Sonntag bei Twitter, in Deutschland sei die Mutation bisher nicht aufgetaucht.

+++ Großer Ansturm auf Schnelltest-Zentren kurz vor Weihnachten +++

Köln. Kurz vor Weihnachten ist der Ansturm auf die Corona-Schnelltest-Zentren in Nordrhein-Westfalen riesig. »Wir haben den Eindruck, dass sich jeder noch vor Weihnachten testen lassen will«, sagte Thomas Fasshauer, einer der Betreiber der Testzentren von Medicare in NRW. Seit diesem Wochenende gehen demnach die Buchungen rasant nach oben. Am Sonntag hätten sich trotz der Vergabe von Terminen Warteschlangen gebildet. Ein Test ohne Termin sei mittlerweile schon nicht mehr möglich.

Bis Weihnachten werde die Zahl immer weiter steigen, sagte Fasshauer. Für den Mittwoch sei etwa am Hauptstandort in Köln schon alles komplett ausgebucht. Daher sei mittlerweile ein zweites Zentrum in der Stadt eröffnet worden. Allein in Aachen hätten sich am Freitag innerhalb von 24 Stunden 400 Menschen auf eigene Kosten testen lassen.

Am Schnelltest-Zentrum im Parkhaus der Kölner Lanxess Arena bildeten sich Berichten zufolge Staus und es gab stundenlange Wartezeiten. Autofahrer können sich dort direkt im Wagen testen lassen. Aufgrund der enormen Nachfrage wurden am Sonntag die Öffnungszeiten erweitert, wie der Betreiber auf seiner Website mitteilte. Das Ordnungsamt habe den Betreiber des Zentrums wegen des großen Andrangs aufgefordert, mit zusätzlichem Sicherheitspersonal für Ordnung zu sorgen, sagte ein Sprecher Stadt Köln.

Covid-19: Wie weit bis zu weniger scharfen Maßnahmen* in den Landkreisen?

Schlangen entstanden am Wochenende auch am Testzentrum im Düsseldorfer Flughafen. Am Freitag hatte die Bundespolizei eingreifen müssen, nachdem es an Abflugschaltern streckenweise zu »Gedrängel« kam. Am Wochenende blieb es laut Bundespolizei ruhig.

+++ Corona: Laschet sieht Gottesdienste skeptisch +++

Wegen hoher Corona-Infektionszahlen hat sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) skeptisch gegenüber Präsenz-Gottesdiensten an Weihnachten gezeigt. »In den nächsten Tagen werde ich angesichts der aktuellen Lage noch einmal Gespräche mit den Kirchen führen«, sagte Laschet dem Berliner »Tagesspiegel« (Sonntag).

»Die Glaubensgemeinschaften nehmen die Lage sehr ernst.« Sie wüssten auch, dass dies das Fest des Lebens und der Nächstenliebe sei, »und dass man sorgsam abwägen muss«, sagte Laschet: »Die Zahlen der vergangenen Tage legen eher nahe, dass man noch vorsichtiger sein muss als wir es vor zwei Wochen dachten.« Die Evangelische Kirche von Westfalen habe schon gesagt, dass sie Gottesdienste auch absage.

Zugleich sei die Freiheit der Religionsausübung ein wichtiges Grundrecht der Verfassung, so Laschet: »Wir haben daher in Nordrhein-Westfalen schon im März gesagt, dass wir Kirchen und Synagogen als Staat nicht schließen, sondern dass wir auf die Freiwilligkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften setzen.«

Laschet deutete an, dass nach dem 10. Januar ein Ende des Lockdowns nicht zu erwarten sei. »Im Moment ist nicht mal der Hauch einer Möglichkeit dafür da, dass man darüber redet«, sagte er auf die Frage nach Öffnungen. »Die Kernfrage wird nach den Ferien sein: Wie geht es mit Schulen und Kitas weiter? Bis wir wieder Partys feiern, wird noch viel Zeit vergehen.« Zugleich gelte das Prinzip: Sobald es möglich ist, müsse ein Grundrechtseingriff zurückgenommen werden. Gerade der Reiseverkehr und die Begegnungen zu Weihnachten seien ein großes Infektionsrisiko, so Laschet.

+++ Impfstoff für Deutschland lagert derzeit noch in Belgien +++

Mainz. Der für Deutschland vorgesehene Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer befindet sich derzeit noch in Belgien. Erst nach der Zulassung durch die Europäische Kommission könne der Transport der Dosen von dem Pfizer-Werk im belgischen Puurs nach Deutschland an eine zentrale Anlieferstelle beginnen, teilte Biontech-Geschäftsvorstand Sean Marett am Freitag mit. Von dort aus werde der Impfstoff zu den einzelnen Verteilzentren der Bundesländer gebracht.

In Deutschland und der Türkei ist Biontech nach eigenen Angaben für die Auslieferung zuständig, in allen anderen Ländern übernimmt das Pfizer. Genaue Angaben zur Menge der Impfdosen, die in Kürze an die EU-Mitgliedsländer ausgeliefert werden sollen, machte Marett nicht. Die Verteilung erfolge nach einem Schlüssel der EU, sagte er.

Die Herstellung des Botenmoleküls mRNA für die klinische oder kommerzielle Produktion erfolgt den Angaben zufolge in den Biontech-Werken in Mainz und Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz. Anschließend werde die Lösung gereinigt und konzentriert, erläuterte Marett den Produktionsvorgang. Schließlich werde das Ausgangsmaterial zu Pfizer nach Belgien gebracht, wo das Präparat weiterverarbeitet, abgefüllt und etikettiert werde.

Zur Frage, warum bei der weltweiten Studie von Biontech und Pfizer keine allergischen Reaktionen bei Geimpften auftauchten, erklärte Marett, dass Menschen, die schwere Allergien gegen Impfstoffe oder Bestandteile davon hatten, als Probanden ebenso ausgeschlossen gewesen seien wie Schwangere und Kinder. In Großbritannien, wo bereits mehr als 140 000 Menschen den Impfstoff erhielten, hatten zwei Geimpfte stärkere allergische Reaktionen gezeigt.

An diesem Montag will die europäische Arzneimittelagentur EMA ihre Beurteilung über den Impfstoff von Biontech und Pfizer abgeben. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwartet nach eigenen Worten, dass die EU-Kommission das Serum am Dienstag zulässt. Das in Deutschland zuständige Paul-Ehrlich-Institut prüfe dann bei den Lieferchargen, ob die Impfdosen der Zulassung entsprechen. Das Institut erhielt inzwischen erste Prüfmuster und begann mit Untersuchungen, wie am Freitagabend mitgeteilt wurde.

+++ Nach Notfallzulassung beginnt in den USA Verteilung von Moderna-Impfstoff +++

Die Zahl der Corona-Toten wächst

Washington. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie können die USA auf einen zweiten Impfstoff zurückgreifen: Einen Tag nach der Notfallzulassung des vom US-Pharmakonzern Moderna hergestellten Mittels wurden am Samstag die ersten Dosen des Impfstoffs ausgeliefert. In den USA läuft seit vergangenem Montag bereits eine großangelegte Impfkampagne mit dem Vakzin der Mainzer Firma Biontech und ihres US-Partners Pfizer. Auch die Schweiz gab am Samstag grünes Licht für den Biontech-Pfizer-Impfstoff.

»Die Verteilung des Moderna-Impfstoffs hat begonnen«, erklärte der General Gus Perna vom Impfprojekt »Warp Speed« (Überlichtgeschwindigkeit) der US-Regierung. Die ersten Lastwagen verließen am Samstag ein Fabrikgelände in Bloomington im Bundesstaat Indiana, wo die Firma Catalent den Moderna-Impfstoff in Ampullen abfüllt.

Die nationale Arzneimittelbehörde FDA hatte am Freitagabend eine Notfallzulassung für den Moderna-Impfstoff erteilt. Es ist die erste Zulassung für den Moderna-Wirkstoff weltweit. Vor einer Woche hatte in den USA bereits der Biontech-Pfizer-Impfstoff die Notfallzulassung erhalten.

»Mit der Verfügbarkeit von nunmehr zwei Corona-Impfstoffen hat die FDA einen weiteren entscheidenden Schritt im Kampf gegen diese Pandemie gemacht«, erklärte FDA-Chef Stephen Hahn. Auch der scheidende US-Präsident Donald Trump zeigte sich erfreut: »Glückwunsch, der Moderna-Impfstoff ist nun erhältlich«, schrieb er im Onlinedienst Twitter. Sein gewählter Nachfolger Joe Biden sprach ebenfalls von einer guten Nachricht. Er betonte in einer Erklärung aber zugleich »die riesige Herausforderung, hunderte Millionen Amerikaner zu impfen«.

Moderna-Chef Stéphane Bancel erklärte, er sei stolz auf die Notfallzulassung. Der Impfstoff sei innerhalb von elf Monaten entwickelt und klinisch getestet worden. Moderna konzentriere sich nun darauf, die Produktion des Wirkstoffs weiter hochzufahren.

Die USA hatten die Erforschung des Impfstoffs mit 2,5 Milliarden Dollar unterstützt, außerdem beteiligte sich das Nationale Gesundheitsinstitut an der Entwicklung. Bereits am Montag hatte in den USA die Impfkampagne mit dem Biontech-Pfizer-Wirkstoff begonnen, auch Großbritannien impft schon damit.

Experten befürchten aber, dass viele Menschen sich aus Skepsis über die in Rekordzeit entwickelten Impfstoffe nicht impfen lassen wollen. Um das Vertrauen zu stärken, hatte sich US-Vizepräsident Mike Pence am Freitag vor laufenden Kameras mit dem Biontech-Pfizer-Mittel impfen lassen. Biden kündigte an, er werde sich am Montag zusammen mit seiner Ehefrau Jill öffentlich impfen lassen. Trump dagegen hat wiederholt erklärt, dass er sich nach seiner Corona-Infektion im Oktober für »immun« halte.

In den USA sind bereits mehr als 17 Millionen Corona-Infektionen und mehr als 314.000 Todesfälle bestätigt worden. Das sind die mit Abstand höchsten Zahlen weltweit. Derzeit werden täglich mehr als 200.000 neue Ansteckungen und teilweise mehr als 3000 Tote verzeichnet. Alle Hoffnungen ruhen nun auf den Impfstoffen. Die US-Regierung hat 200 Millionen Dosen bei Moderna und 100 Millionen bei Biontech-Pfizer geordert.

+++ Bolsonaro hält Eile bei Corona-Impfung für »nicht gerechtfertigt« +++

Brasília. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat Eile bei Kauf und Verteilung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus als unbegründet bezeichnet. »Die Eile ist nicht gerechtfertigt«, sagte Bolsonaro in einem Internet-Video, das eines seiner Söhne, der Abgeordnete Eduardo Bolsonaro, am Samstag in den sozialen Netzwerken verbreitete. »Man mischt sich damit in das Leben der Menschen ein.«

Der Präsident, der das Virus von Anfang an verharmlost, hatte erst am Donnerstag die Unternehmen Pfizer und Biontech kritisiert und mögliche Kollateralschäden ihres Impfstoffs herangezogen. »Im Vertrag ist klar geregelt, dass Pfizer nicht für Nebenwirkungen verantwortlich ist. Wenn Du Dich in einen Kaiman verwandelst, ist es Dein Problem«, sagte Bolsonaro und lachte.

In Brasilien - dem größten Land Lateinamerikas - sind inzwischen mehr als sieben Millionen Menschen infiziert. Der 210-Millionen-Einwohner-Staat steuert auf 200 000 Tote zu und meldet nahezu täglich weitere Höchstwerte. Bolsonaro sagte jedoch, die Pandemie gehe in Brasilien zu Ende.

+++ Corona-Pandemie treibt immer mehr Italiener in die Armut +++

Rom. An der Prachtstraße zum römischen Petersdom hängen auf einer Metallabsperrung in der Morgensonne Pullover und Hosen zum Trocknen. Unter den Kolonnaden am Ende der Via della Conciliazione und in den Hauseingängen der Seitenstraßen gehen Passanten achtlos an notdürftig mit Plastikplanen vor Kälte und Wind geschützten Nachtlagern vorüber. Die Corona-Epidemie macht in Rom immer mehr Familien arm und obdachlos. Menschen, die im Freien übernachten, werden plötzlich sichtbar, denn sie sind die einzigen, die abends die festlich beleuchtete Altstadt bevölkern.

Hilfsorganisationen verzeichnen seit dem Beginn der Pandemie im März einen sprunghaften Anstieg an Hilferufen. In den ohnehin für die 8.000 Obdachlosen der Stadt nicht ausreichenden Schlafstellen wurde wegen der Abstandsregeln die Bettenzahl reduziert. Während die Nächte immer kälter werden, bringt das Rote Kreuz denjenigen warme Kleidung und Decken, für die in den Einrichtungen kein Platz ist.

Der Lockdown mit geschlossenen Hotels, Bars, Restaurants und Geschäften bedrohe das Überleben der zahlreichen Obdachlosen, berichtet Debora Diodati, Vorsitzende des Roten Kreuzes in Rom. Seit der Touristenstrom versiegt ist, sind viele Läden geschlossen. Für zahlreiche Restaurants lohnt sich das geringe Besucheraufkommen aus Römern nicht. Hilfsorganisationen bemühen sich, der wachsenden Nachfrage nach Lebensmitteln nachzukommen. Gleichzeitig fordert der Präsident der katholischen Gemeinschaft Sant Egidio, Marco Impagliazzo, Notunterkünfte in leer stehenden Kasernen und Hotels einzurichten.

Wenn abends die Läden schließen, fahren Helfer des Roten Kreuzes mit zwei Wagen voller Kartons mit Kleidung und Lebensmitteln in die römische Altstadt. Am oberen Ende einer Treppe, die zum Tiberufer führt, treffen sie einen Mann, der in einer schützenden Nische sein Zelt aufgebaut hat. Der Mann trägt keine Atem-Maske. Die Helfer in roten Overalls gießen heißen Tee in seine leere Plastikflasche und geben ihm zwei Pakete Weißbrot. »Meine Frau ist nach sieben Monaten hier auf der Straße gestorben«, sagt er traurig. Als die Helfer ihre Anteilnahme äußern, reagiert er wütend, als fühle er sich verhöhnt.

Unten am Tiberufer hat sich eine Gruppe jüngerer Menschen ein Zeltlager auf dem kalten Boden eingerichtet, der nach heftigen Regenfällen bis vor wenigen Tagen überschwemmt war. Ihre Hunde schlagen an, als die Helfer sich nähern. Die Bewohner der Zelte, darunter eine junge Frau Mitte Zwanzig in einem dünnen Rock und Strumpfhosen, kommen nach oben, damit sich die Helfer nicht die Schuhe schmutzig machen müssen.

Unter den Obdachlosen in Rom sind seit Ausbruch der Pandemie immer mehr Frauen. An diesem Abend trifft das Team in der Nähe der Piazza Navona auf einer Museumstreppe auf eine in Decken gehüllte ältere Frau, die jede Hilfe freundlich ablehnt. Auch eine Frau, die ihren gesamten Besitz in zwei riesigen Taschen mitten auf der leeren Hauptstraße entlang trägt, will weder heißen Tee noch Nahrung oder Kleidung. Doch sie braucht offenbar jemanden, der sie beachtet. So steht das Rote-Kreuz-Team in gebührendem Abstand vor ihr und hört ihr zu, als sie ihre schwer verständliche Sicht auf die Welt erklärt.

»Wir sind es gewohnt, den Menschen die Hand zu geben«, erklärt Debora Diodati. »Wir mussten uns neu erfinden, um körperliche Distanz zu wahren und dabei zu verstehen zu geben, dass die Menschen in der surrealen Leere der Stadt nicht allein sind«, sagt die Vorsitzende des Roten Kreuzes in Rom.

Den größten Zuwachs verzeichnen Hilfsorganisationen an Familien, die noch eine Bleibe haben, aber im Zuge der Corona-Epidemie ihre Arbeit verloren haben. So sind die Italiener unter den Menschen, die bei der Caritas für Essensrationen Schlange stehen, plötzlich wieder in der Mehrheit. Ein Drittel der Hilfsbedürftigen sind auf einmal nicht mehr alte Bekannte sondern neue Gesichter.

Auch der Vatikan passte sein Angebot an Bedürftige den neuen Umständen an. Im Ambulatorium, dass auf Wunsch von Papst Franziskus in den Kolonnaden am Petersplatz eingerichtet wurde, werden kostenlos Grippe-Impfungen verabreicht und Corona-Tests durchgeführt. Ein Tropfen auf den heißen Stein in der Touristenmetropole Rom, die unter dem Einbruch der Reiseindustrie besonders leidet. Für diejenigen, die diese Angebote wahrnehmen können, machen sie dennoch einen großen Unterschied. Agenturen/nd

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