Hoffnung aus der Spritze

Grünes Licht für Corona-Impfstoff in der EU / Nebenwirkungen bei Jüngeren

Auch in der EU können die Impfungen gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 nun starten. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat am Montag in ihrer Bewertung des Produkts »BNT162b2« des Mainzer Biotechunternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer grünes Licht für die Zulassung in der Europäischen Union gegeben. In Deutschland soll es kommenden Sonntag in eigens errichteten Impfzentren losgehen.

Auch wenn angesichts der sich seit Herbst wieder verschärfenden Pandemie die Prüfung auf Wirksamkeit sowie Verträglichkeit unter großem Zeitdruck stand, wurden laut EMA alle üblichen Teststandards eingehalten. So durchlief die Studie drei Phasen. Am Ende waren weltweit etwa 44 000 Teilnehmer ab zwölf Jahren mit von der Partie, involviert waren auch fünf deutsche Kliniken. Verglichen wurden die Geimpften mit einer Gruppe, der ein Placebo verabreicht wurde. Die Hersteller sprechen von einer hohen Wirksamkeit von etwa 95 Prozent.

Bei »BNT162b2« handelt es sich um einen sogenannten mRNA-Impfstoff. Die Abkürzung bezeichnet eine einzelsträngige Ribonukleinsäure, die die genetische Information für den Aufbau eines Proteins in einer Zelle enthält. Wurde bisher bei Impfstoffen meist ein virales Antigen verimpft, wird nun quasi die Bauanleitung dafür verabreicht.

Weitere mRNA-Impfstoffe sind in Vorbereitung. Anfang Januar steht die EU-Zulassung des Produkts des US-Unternehmens Moderna an. »mRNA-1273« soll Vorteile gegenüber dem Biontech-/Pfizer-Serum haben: Es kann laut dem Hersteller bis zu 30 Tage bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden, während »BNT162b2« mindestens minus 70 Grad benötigt; Hausarztpraxen und Krankenhäuser verfügen nicht über solche Lagerungskapazitäten. Etwas länger wird es mit dem mRNA-Impfstoff der Tübinger Firma Curevac dauern: Sie teilte am Montag mit, die Phase-3-Studie auf 2500 Mitarbeiter der Universitätsmedizin Mainz auszudehnen.

Ebenfalls recht weit ist die Prüfung eines Vektorimpfstoffs der Universität Oxford und von AstraZeneca, bei dem harmlose Viren verabreicht werden, die die Abwehrreaktion des Immunsystems auslösen sollen. Die Wirksamkeit liegt bisher nur bei 60 Prozent. Der britische Konzern will sich nun mit dem Entwickler des russischen Impfstoffs »Sputnik V« zusammentun. Weltweit zählt die Weltgesundheitsorganisation derzeit 222 Impfstoffprojekte. Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedizin an der Universität Tübingen, erwartet, dass es hierzulande Anfang/Mitte 2021 wohl 10 bis 20 zugelassene Impfstoffe geben wird.

Die ersten Zulassungen schaffen indes für die Konkurrenz ein Problem: Für die Tests wird es schwieriger, Personen für die Kontrollgruppe zu finden, die sich mit einem Placebo zufriedengeben, statt sich »richtig« impfen zu lassen, was ja demnächst möglich sein wird. Das könnte die Ermittlung der Wirksamkeit erschweren.

Positiv ist, dass unterschiedliche Impfstoffgruppen in der Pipeline sind. Mit mRNA-Impfstoffen betritt die Medizinwelt nämlich Neuland, weshalb Wirksamkeit und Nebenwirkungen schwerer abzuschätzen sind. Das Unbekannte ruft Impfgegner auf den Plan, die warnen, das RNA des Impfstoffs könne das Erbgut verändern. Das scheint hingegen aus der Luft gegriffen, denn ein Übergang der Virus-mRNA in die menschliche DNA ist laut Infektiologen nicht möglich. »Warnungen vor Erbgutschäden sind falsch und verursachen unbegründete Ängste«, so der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek.

Auch die in Großbritannien und Südafrika jetzt ermittelten Mutationen des Coronavirus sollten keine Probleme bereiten, heißt es von Virologen. Sie seien zu schwach und reichten nicht aus, um der vom Impfstoff erzeugten komplexen Immunabwehr zu entgehen.

Für Kopfzerbrechen in der Fachwelt sorgt etwas anderes: häufige Nebenwirkungen bei jungen Teilnehmern - also der Gruppe, bei denen eine Coronavirus-Infektion nur in seltenen Fällen zu einer starken Covid-19-Erkrankung führt. In den USA und Großbritannien, wo der neue Impfstoff bereits verabreicht wird, tauchten mehrere Fälle von allergischen Reaktionen auf. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, beschreibt diese als »ein bis zwei Tage fieberhaften Infekt«. Auch Frauen würden den Impfstoff etwas schlechter vertragen. Peter Kremsner, der an der Curevac-Studie beteiligt ist, wagt sogar eine persönliche Empfehlung: »Als 20-Jähriger würde ich mir die Impfung aktuell nicht geben lassen, als 80-Jähriger sehr wohl.«

Allen Experten ist letztlich auch klar, dass Sars-CoV-2 im Laufe der Impfkampagnen nicht einfach verschwinden wird. Allerdings gibt es einen realistischen Hoffnungsschimmer. Laut Charité-Mediziner Sander lautet dieser: »im nächsten Winter deutlich weniger schwere Fälle«.

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