Kein »Alle Jahre wieder«

Marion Bergermann fragt, wie lange die Politik Flüchtlingselend aushält

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Immer drastischer werden die Schilderungen aus Kara Tepe, dem Nachfolgecamp von Moria: Ratten nagen nachts an Kinderfüßen. Menschen müssen sich im Meer waschen. Leere Zelte, schlammumspült vom Regen. Die Berichte kennt man. Genauso wie jene von überfüllten Booten auf dem Meer. Diese Krise der Asylpolitik ist bestens dokumentiert. Hilfsorganisationen, Medien und Privatpersonen halten das Thema in der Öffentlichkeit. Vergangenes Jahr zu Weihnachten wurde auch schon gefordert, Geflüchtete aus Moria zu holen. Man hatte es mit Emotionen versucht. Damit, dass es dort kalt ist und wir im Warmen sitzen.

Wenn es um Moria, oder jetzt Kara Tepe, als Symbol für die europäische Asylkrise geht, appellieren die meisten moralisch. Dass man Leute nicht leiden oder sterben lassen kann. Einige argumentieren ökonomisch. Mit dem Fachkräftemangel, den Geflüchtete und Arbeitsmigrant*innen abfedern könnten.

Aber Menschlichkeit, Emotionen und nüchterne Rechnungen bewegen bisher kaum etwas bei den Staats- und Regierungschefs, die sich gemeinsam als EU nicht einigen können. Stattdessen verharren sie seit Jahren in der kalkulierten Nichtverantwortung. Die EU lässt gerade eine Generation traumatisierter Menschen entstehen. In dem Irrglaube, dass sich Migration durch Abschreckung verhindern lässt. Das funktioniert aber nicht, was man an den sich lediglich ändernden Fluchtrouten sehen kann. Es werden weiterhin Geflüchtete und Migrant*innen aus Verzweiflung versuchen, nach Europa zu kommen. Also wird die Staatengemeinschaft handeln und etwas für die Menschen tun müssen, die hier ankommen. Statt Gelder aus Brüssel zur Finanzierung der libyschen Küstenwache und Migrationskontrolle im Niger fließen zu lassen. Es reicht auch nicht, von »Fluchtursachenbekämpfung« zu sprechen und Milliarden Euro an Entwicklungshilfe auf dem afrikanischen Kontinent zu investieren. Entwicklungshilfe funktioniert seit Jahrzehnten schon nicht, sonst wären die Fluchtursachen ja nun geringer. Und man kann nicht Gelder in Hilfsprojekte pumpen und gleichzeitig etwa mit knebelnden Handelsverträgen agieren.

Für manche mag es kompliziert erscheinen, warum sich kaum etwas tut. Aber dahinter steht auch eine jahrhundertealte Geschichte. Die europäischen Kolonialmächte haben bis ins letzte Jahrhundert den afrikanischen Kontinent geplündert. Die eigenen Außengrenzen nun durchlässiger zu machen hieße, einzusehen, dass man was wiedergutzumachen hat. Dass man Verantwortung übernimmt für die Folgen des Kolonialismus. Dieser war zudem mit einem Rassismus verbunden, der bis heute tief sitzt. Die Angst vor schwarzen Menschen ist in den europäischen Gesellschaften verankert. Die Sorge vor ankommenden Flüchtlingen ist die Sorge des Untergehens der weißen europäischen Gesellschaften. Die es sowieso so nicht gibt. Sowie des Verlustes der eigenen Privilegien. Als ob ein Geflüchteter einem den Job oder Sozialleistungen wegnimmt. Solange diese Denkweise nicht überwunden ist, bleibt es schwierig.

Aber den Status Quo können die Entscheidungsträger*innen auf nationaler und europäischer Ebene nicht mehr lange aushalten. Sowieso keine weiteren neun Jahre – so lange, wie bereits vermehrt Menschen nach Europa flüchten. Denn so wenig die bisherigen Argumente gehört werden: Die Leute werden des Themas nicht müde. In Deutschland kämpfen Kommunen und Städte mittlerweile regelrecht darum, Flüchtlinge aufnehmen zu dürfen. Aus dem Appell, Geflüchtete menschenwürdig zu behandeln, darf schließlich kein »Alle Jahre wieder« werden.

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