Der Sound, der Geschichte schrieb

Die Quelle des Afrobeat: Berliner Jazzer erkunden Malis Musik der 70er Jahre.

  • Andreas Schnell
  • Lesedauer: 4 Min.

Mali ist eines jener vielen Länder, die in unseren Medien hauptsächlich im Zusammenhang mit Krisen, Kriegen und Katastrophen erwähnt werden - wenn überhaupt. Wer sich allerdings einmal ein wenig mit der Musik des südlichen Nachbarkontinents beschäftigt hat, weiß, dass das Land betörende musikalische Reichtümer hervorgebracht hat - von Salif Keita und Mory Kanté über Ali Farka Touré und Oumou Sangare bis zu den Touareg-Rockern Tinariwen. Dass in Mali die Wiege des Afrobeat stünde, wie im Beipackzettel des Albums »Le Mali 70« des Berliner Omniversal Earkestra behauptet wird, wäre noch zu klären. Aber sei's drum.

Wie Fela Kuti, wichtigster Protagonist des des Afrobeat, kombinierten auch in Mali Musiker regionale Spielweisen mit Funk und Soul, mit Rock und Rumba, mit Jazz und Pop, später mit House und Hip-Hop, immer auf der Suche nach der besten Tanzmusik zur Zeit. Dass sich dabei die westlichen Einflüsse ihrerseits nach Afrika zurückverfolgen lassen, von wo aus sie wieder auf westliche Populärmusik einwirken, ist immer wieder spannend zu beobachten. Auch Damon Albarn zog es schon nach Mali. Die große Politik hatte damit übrigens auch immer zu tun: Kubanische Spielweisen kamen nicht zuletzt mit kubanischen Ärzten und Lehrern ins einst sozialistische Mali.

Mit »Le Mali 70« liegt so ein Fall interkontinentaler Rückkopplungen vor. Die bis zu zwei Dutzend Musiker zählende Berliner Bigband Omniversal Earkestra spielt seit Jahren immer wieder montags live an wechselnden Orten in Berlin, wobei im Repertoire neben eigenen Kompositionen vor allem die Klassiker hoch in Ehren stehen - von Duke Ellington über Sun Ra bis zu Fela Kuti. Mit der Konjunktur afrikanischer Musik in den letzten Jahren gelangten auch Stücke aus dem Mali der 1970er Jahre ins Programm.

Diese 70er Jahre, als die meisten afrikanischen Staaten zumindest nominell unabhängig von den Kolonialmächten wurden, stehen auch in Mali für ein Goldenes Zeitalter. Es herrschte Aufbruchsstimmung, dank reicher Rohstoffvorkommen gab es auch ein bisschen Wohlstand oder zumindest die Aussicht darauf. Für das Nation Building spannten Politiker auch die Künste ein,, die an afrikanische Traditionen anknüpfen sollten. Anzudeuten, was da zwischen Dakar und Daressalam so alles los war, ist hier kein Platz. In Bamako jedenfalls, der Hauptstadt Malis, aber auch in anderen Städten des Landes, entstand ein beeindruckendes Nachtleben, und einige der Stars der Szene, wie Salif Keita und Mory Kanté, machten auch im Rest der Welt von sich reden.

Kein Wunder, dass sich Musiker mit offenen Ohren da kaum satthören können. Der zumindest theoretisch naheliegende, aber kompliziert umzusetzende Gedanke, auf die Spuren legendärer Bands zu gehen wie der Rail Band aus Bamako, bei der einst Salif Keita ersten Ruhm erntete, oder Mystère Jazz de Tomboutou, Super Bitons de Segou, Kanaga de Mopti und anderen alten Meistern einen Besuch abzustatten, ließ sich, um es kurz zu machen, dank des Turn-Fonds für kulturelle deutsch-afrikanische Begegnungen schließlich realisieren.

2019 reiste also ein Teil des Omniversal Earkestra für sechs Wochen durch Mali, wo die Berliner neben Salif Keita auch andere große Stimmen wie Sory Bamba, Cheick Tidiane Seck und Abdoulaye Diabaté trafen, Konzerte spielten und aufnahmen, was nun dank Trikont für uns zu hören ist. Zehn Songs, darunter »Badiala Male«, der erste Hit von Salif Keita, umfasst das Album, das in seiner Fusion von westlichem Bigband-Jazz und malischen Sounds die Konflikte höchstens ahnen lässt, die es bei der Zusammenarbeit durchaus gab, wie beispielsweise der Beat geht - afrikanisch oder kubanisch. Und auch ein bisschen darüber, ob denn ein Haufen Jazzer aus Berlin den malischen Meistern überhaupt den Takt vorgeben können. Salif Keita soll den Streit salomonisch gelöst haben: Es geht immer weiter, man muss nicht im Alten verharren.

Tatsächlich ist »Le Mali 70« eher Weiterschreibung als Reenactment. Dabei gehen die Berliner zugleich höchst respektvoll mit den malischen Kollegen und den Kompositionen um. Andererseits sind sie schon über ihre Besetzung recht mächtig im Klangbild, vielleicht manchmal sogar zu mächtig. Zeitgenössisch sind dabei - eher als die Musizierweisen - die Produktionsmöglichkeiten, mit denen hier ein warmer, kraftvoller Klang entstand. Dabei ist diesem Projekt natürlich schon im Titel eingeschrieben, dass es nicht um eine zeitgenössische Musik aus Mali geht, sondern um die Würdigung einer Ära, ihrer großen Stimmen, die eben auch für ein anderes Mali stehen als jenes, das uns in den Nachrichten begegnet.

Einen Film von Markus Schmidt, der vor einigen Jahren »Mali Blues« drehte und nun die Reise des Earkestras dokumentiert hat, wird es übrigens auch geben. Der dürfte den Vibe und die prekären Umstände des Unternehmens gut einfangen. Vielleicht sogar noch besser als das womöglich ein bisschen zu aufgeräumte Album, das dabei entstand.

The Omniversal Earkestra: »Le Mali 70« (Trikont)

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