Sonnenenergiewende

Experten meinen, Deutschland könnte seinen gesamten Bedarf an Strom, Wärme und Mobilität mit Solarenergie decken.

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Regierungen von Brandenburg und Sachsen haben erreicht, dass die Bundesregierung Milliardensummen in die Lausitz steckt, um das anstehende Wegbrechen der Kohlebranche auszugleichen. Mit dem Geld sollen Energiewendebranchen angesiedelt werden, es geht um Elektromobilität, Speichertechnologien, Wasserstoff und dergleichen. Eine untergeordnete Rolle spielt dabei die Solarenergie. Dabei befindet sich schon seit 2017 ein Vorzeigeprojekt dieser Branche in der Lausitz: der Solarpark Frauendorf, nur wenige Kilometer vor den Toren von Cottbus gelegen.

Wer ihn im Sommer besucht, sieht die vielen Reihen der Solarmodule inmitten einer bunten Blumenwiese stehen. Auffällig ist zudem, dass zwischen dem Zaun des Geländes und den ersten Modulreihen vierzig, fünfzig Meter Wiese liegen. Fachleute erkennen, dass auch sonst die Freiräume auffällig groß sind. »Wir haben zwischen den Reihen richtig große Abstände«, erläutert Jörg Schulze. »Der Kaufmann würde sagen: Seid ihr bescheuert? Da passt ja noch ’ne Reihe hin!«

Schulze ist der verantwortliche Ingenieur. Er arbeitet für Spreegas, dem Gas-Grundversorger der Region. Warum baut eine Gasfirma einen Solarpark, und dann noch nicht mal mit der größtmöglichen Auslastung? Weil es sich trotzdem rechnet. Auf dem in Sichtweite einer Landstraße zwischen Wald und einem Acker gelegenen 20 Hektar großen Gelände bei Frauendorf befindet sich nämlich Deutschlands erster Solarpark, der eigens als Biotop angelegt wurde. Das bedeutet schon mal, dass aufgrund des ökologischen Nutzens des Projekts keine Ausgleichsflächen bezahlt werden mussten, die bei Bauprojekten generell Pflicht sind. Auf den unüblich großen Freiflächen des Solarparks gedeihen Dutzende Pflanzenarten, die unter der Aufsicht einer Biologin extra angesiedelt wurden. Auch die Tierwelt, von Insekten bis zu Hasen, Adlern und gelegentlich sogar Rehen, nimmt das Projekt gut an, wie Schulze berichtet. »Hier bilden sich Habitate, die man sonst in der freien Natur nicht hinkriegt«, erklärt der gelernte Kraftwerksingenieur. Spreegas hat neben dem Solarpark einen Aussichtshügel aufschütten lassen, auf dem Informationstafeln das Konzept erklären. So können zum Beispiel Schulklassen lernen, dass hier nur heimische Pflanzen angesiedelt wurden, die zum Teil sogar besonders geschützt sind.

Dank gesunkener Materialkosten könnte dieser Solarpark, wenn er heute gebaut würde, mit Kosten von um die fünf Cent pro erzeugter Kilowattstunde kalkuliert werden, berichtet Schulze. In wirtschaftlicher wie in ökologischer Hinsicht sei das Projekt ein Erfolg. »Es klingt manchmal zu schön um wahr zu sein«, hält der Ingenieur fest. Insgesamt hat Spreegas rund um die Gemeinde Neuhausen an der Spree, zu der Frauendorf gehört, fünf Biotop-Solarparks errichtet. Weitere in der Region sollen folgen.

Mehrfacher gesellschaftlicher Nutzen

Eine Ende 2019 veröffentlichte Studie des Bundesverbands Neue Energiewirtschaft ergab nach der Analyse von 75 herkömmlichen Solarparks, dass sich schon dort vor allem Vögel, Heuschrecken und Tagfalter verstärkt ansiedeln - und zwar gerade Arten, die eine vielfältige Landschaft benötigen. Noch besser für die Artenvielfalt wäre es da, die Parks von vornherein als Biotope anzulegen.

Sebastian Scholz, stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutz und Umweltpolitik beim Naturschutzbund, sieht in gut gemachten Biotop-Solarparks »eine interessante Variante, der Klima- und Artenkrise zu begegnen«. Da bald die ersten Biogas-Anlagen ihre Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verlieren werden, schlägt er vor, »einige dieser intensiv bewirtschafteten Flächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung zu nehmen und für Freiflächen-Fotovoltaik-Anlagen nutzbar zu machen«. Nicht nur brächte Fotovoltaik auf derselben Fläche viel mehr Energie als Energiepflanzen. »Auch die lokale Artenvielfalt und der Humusgehalt der Böden steigt«, hält Scholz fest. »Das ist ein Win-Win für Natur und Mensch.«

Fotovoltaik hat gegenüber Windkraftanlagen den Vorteil, dass sich mehrere gesellschaftliche Nutzeffekte kombinieren lassen. Sie kann zudem nicht nur auf Brachflächen angewandt, sondern auch mit der Landwirtschaft kombiniert werden. Die Solarmodule können auch über den Nutzpflanzen installiert werden.

Diese Agrar-Fotovoltaik hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg (ISE) auf einem Bauernhof in der Nähe des Bodensees erforscht. Das Ergebnis: Die Ernte fällt unter den Fotovoltaikmodulen eventuell schlechter aus, dafür kann der Hof aber den relativ günstigen Strom nutzen. Und die Solaranlage spendet Schatten, schützt also Pflanzen und Böden in Hitzeperioden vor Austrocknung. Würden auf vier Prozent der deutschen Agrarflächen zusätzlich Fotovoltaikanlagen stehen, ließe sich damit, aufs Jahr gerechnet, der gesamte deutsche Strombedarf decken, schätzt das Fraunhofer ISE. Allein die Flächen des Obst- und Beerenanbaus würden demzufolge ausreichen. Andreas Bett, einer der beiden Leiter des Instituts, erwartet auch Synergie-Effekte: »Ein zusätzlicher Vorteil ist dabei der Hagelschutz, der den Ernte-Ertrag erhöht.«

Fotovoltaik kann nicht nur mit anderen Bodennutzungen kombiniert werden, sie ist auch ein sehr wichtiges Mittel, die Energiewende endlich stärker in die Städte zu bringen, was wegen der zunehmenden Elektromobilität besonders wichtig ist. Zudem ist sie auch für Akteure mit nicht allzu viel Geld reizvoll, weil sie, anders als bei Windkraft, auch kleinere Anlagen effektiv sind. Doch wie wirtschaftlich kann die vielfältige Anwendung der Fotovoltaik in Deutschland sein? Die Antwort auf diese Frage wird wahrscheinlich viele Menschen erstaunen. Zunächst drei Hinweise auf aktuelle Entwicklungen. Im Sommer wurde bekannt, dass in Sachsen-Anhalt bald wieder Firmen aus der Solarbranche Tausende Arbeitsplätze schaffen werden, nachdem gerade dort vor Jahren der erste große Niedergang dieser Branche stattgefunden hat. Aktienkurse von Solarfirmen sind 2020 stark gestiegen, im In- wie im Ausland. Und diverse Firmen aus anderen Energiesektoren setzen nun auch auf die Solarenergie: Die erwähnten Biotop-Solarparks in der Lausitz werden vom Gasversorger Spreegas betrieben, der sonst nichts im Strombereich macht; und der staatliche baden-württembergische Konzern EnBW nahm im November nordöstlich von Berlin auf über 160 Hektar Deutschlands größten Solarpark in Betrieb, wobei er auf die staatliche Preisgarantie für den Strom verzichtet.

Der Grund für all das ist eine seit Jahren anhaltende Kostensenkung und Effizienzsteigerung bei der Fotovoltaik. Sie ist in den vergangenen zehn Jahren nach Aussagen mehrerer Fachleute um 80 Prozent billiger geworden. Jann Binder vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart sagte im August im Podcast »The smarter E«: »Im Prinzip kostet ein Quadratmeter Fotovoltaik-Modul heute hundert Euro. Das ist billiger als ein Fenster.« Eine Studie seines Instituts von 2019 zeigt die erreichte Effizienzsteigerung: 2018 brauchte eine Freiflächenanlage pro installiertem Megawatt noch 1,3 Hektar Platz. Im Jahr 2004 war der Platzbedarf drei Mal so groß gewesen.

Billigste Art der Stromerzeugung

»Fotovoltaik ist die Technologie, die den billigsten Strom zur Verfügung stellt«, hält Andreas Bett vom Freiburger Fraunhofer ISE fest. Unschlagbar billig ist der Solarstrom zwar nur, wenn er in großen Freiflächenanlagen erzeugt wird. Doch es ist schon erstaunlich, was da möglich ist. Im August veröffentlichte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) eine Studie unter dem Titel »Fotovoltaik im Energiesystem. Der Joker der Energiewende?«, die von einem Team der Technischen Universität Hamburg erstellt worden war. In der Studie halten die Fachleute fest: Große Solarparks können selbst in Deutschland Strom für weniger als vier Cent pro Kilowattstunde erzeugen, und nach der wirtschaftlichen Abschreibung, wenn auch die staatliche Preisgarantie wegfällt, für weniger als einen Cent. Das bedeute, »dass die Fotovoltaikanlagen, die aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz fallen, aus Kostensicht konkurrenzlos Strom ins Netz einspeisen können.« Das dürfte sogar langfristig gelten, denn bei einem Solarpark können kaputte Komponenten immer wieder ausgetauscht werden.

Auch das technische Potenzial für die Solarenergie ist in Deutschland enorm. Andreas Bett vom Fraunhofer ISE berichtet von einer gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie erstellten Studie, die sich mit dem wirtschaftlichen Potenzial bei Dächern und Fassaden beschäftigt hat: »Wir haben genügend Dach- und Fassadenfläche, um Energie für ganz Deutschland bereitzustellen.« Das beinhaltet sogar den Strom für Gebäudewärme und Verkehr, wenn diese beiden Sektoren endlich weitgehend elektrifiziert sind.

Ein Team vom Fraunhofer-ISE und dem Dresdner Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung hat das am Beispiel Dresdens durchgerechnet, auf Basis der digitalisierten Gebäudedaten der ganzen Stadt. Das Ergebnis: Selbst wenn der Verschattung durch Bäume in Form eines pauschalen Abzugs Rechnung getragen wird, könnten Dresdens Dächer und Fassaden pro Jahr 4500 Gigawattstunden Strom liefern. Laut den Dresdener Stadtwerken betrug der Stromverbrauch der ganzen Stadt in den letzten drei Jahren jeweils knapp unter 2600 Gigawattstunden. Natürlich ist das errechnete Erzeugungspotenzial als theoretisches zu betrachten, denn um die Solarenergie auch nachts und im Winter zu nutzen, sind große Speicher nötig, die zum Teil als zu unpraktisch oder zu teuer angesehen werden. Zudem gibt es laut dem Fraunhofer-Mitarbeiter Jan-Bleicke Eggers noch keine gut verallgemeinerbaren Erkenntnisse dazu, wieviele Gebäudedächer aufgrund ihrer Statik ungeeignet für eine Solaranlage sind. Andererseits ist zu bedenken, dass die Fraunhofer-Studie sich nur auf bestehende Gebäude bezieht. Unbebaute Flächen wie Parkplätze, Grünflächen und Äcker, die mit Fotovoltaik überdacht werden können, wurden nicht berücksichtigt.

Bundesweit warten weitere große Potenziale darauf, genutzt zu werden. »Energiepflanzen nehmen zwölf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen ein«, hält Andreas Bett vom Fraunhofer ISE fest. »Es macht sehr viel mehr Sinn, dort Fotovoltaik zu installieren.« Wie erwähnt würden vier Prozent der Flächen ausreichen. »Zudem haben wir 8200 Quadratkilometer Wasserflächen zur Verfügung«, führt Bett weiter aus. »Es gibt viele Baggerseen, die sonst nicht genutzt werden. Da könnte schwimmende Fotovoltaik zur Anwendung kommen.« Alleine damit könnte der Großteil der Energiewende erledigt werden.

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