»Auswandern ist kein Verbrechen«

Guatemalas Menschenrechtsbeauftragter Jordán Rodas über das repressive Vorgehen gegen die Karawane

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie waren am guatemaltekisch-honduranischen Grenzübergang El Florido, haben dort am Dienstag mit Migranten aus Honduras, aber auch mit guatemaltekischen Polizisten und Militärs über die gewaltsame Zurückdrängung der Karawane aus Honduras gesprochen. Die Bilder gingen um die Welt. Droht eine neue humanitäre Katastrophe in Mittelamerika?

Die Bilder sind schockierend. Natürlich haben Polizei und Militär ihren Auftrag, aber sie haben die Rechte dieser Menschen, die Guatemala auf ihrem Weg in die USA passieren wollen, massiv verletzt. Dafür möchte ich mich bei den Schwestern und Brüdern aus Honduras entschuldigen, da die Regierung dies bisher nicht getan hat. Auswandern ist kein Verbrechen, sondern ein Recht, und dieses Recht wurde den Menschen an der Grenze von Guatemala verwehrt - unter Anwendung massiver und nicht zu rechtfertigender Gewalt.

Jordán Rodas
ist Jurist und Menschenrechtsexperte. Seit dem 20. August 2017 leitet er die Ombuds-stelle für Menschenrechte in Guatemala-Stadt. Als unbequemer Mahner hat er sich einen Ruf erarbeitet, mehrfach sollte er des Amtes enthoben werden. Über die neue sogenannte Migrantenkarawane sprach mit ihm für »nd« Knut Henkel.

Es scheint, dass Armee und Polizei Guatemalas die Aufgabe der US-Grenzpolizei übernehmen - als ob der Grenzübergang El Florido die Südgrenze der USA wäre. Doch wie kommt es zu diesem extrem repressiven Vorgehen von Armee und Polizei?

Ja, der Eindruck entsteht, und die Behörden scheinen der USA vorauseilendend Gehorsam leisten zu wollen. Warum die Ordnungskräfte so repressiv vorgingen, kann ich nicht sagen, aber die guatemaltekische Verfassung sieht das Recht auf Befehlsverweigerung vor, wenn Befehle Grundrechte verletzen. Das war hier durchaus der Fall. Außer Acht gelassen wurde auch, dass die Auswanderung für diese Menschen die Konsequenz aus Perspektiv- und Arbeitslosigkeit, massiven sozialen und Sicherheitsproblemen ist - sie gehen, weil sie in ihrem eigenem Land keine Chance sehen, zu leben. Sie folgen dem amerikanischen Traum.

Von den Migranten, die Guatemala passieren wollen, werden Reisedokumente verlangt sowie ein negativer Covid-19-Test - angemessene Durchreisebedingungen?

Nachvollziehbar, aber realitätsfern, denn diese Menschen gehören zu den Ärmsten der Armen, können sich einen Test kaum leisten. Hier fehlt eine Koordination beider Regierungen, die vorher von der Karawane wussten, aber keine Teststationen an der Grenze eingerichtet haben. Das hätte ich mir gewünscht, um das Recht auf Auswanderung auch in der Pandemie zu gewährleisten.

Das zentralamerikanische Abkommen für freie Mobilität (CA-4) garantiert die Durchreise der jeweiligen Staatsangehörigen mit einfachen Personaldokumenten - das haben Nicaragua, El Salvador, Honduras und Guatemala vereinbart. Dieses Recht wird in der Pandemie unterlaufen, wodurch eine humanitäre Krise in der Region entstehen könnte, denn die Migration wird Experten zufolge wieder anschwellen.

Die Situation in der gesamten Region, zu der eigentlich auch Mexiko gehört, ist alarmierend. Die Region ist von Korruption, Straflosigkeit, Gewalt und schwachen Demokratien geprägt. Honduras gilt als Beispiel eines narco-autoritären Sonderwegs.

Guatemalas Polizei und Armee haben mit dem brutalen Vorgehen gegen die Karawane Gesetze verletzt. Agiert Guatemala unter dem seit Januar 2020 amtierenden Präsidenten Alejandro Giammattei repressiver?

Der Verfassungsartikel 46 stellt sämtliche international von Guatemala ratifizierten Menschenrechtsabkommen über nationales Recht. Dieser Artikel wurde verletzt und die Regierung setzt auf ein drakonisches Konzept der Abschreckung, statt eine regionale Initiative für den Umgang mit den Migranten auf den Weg zu bringen.

Am Mittwoch ist Joe Biden in den USA als Präsident vereidigt worden. Die Karawane ist auch aufgebrochen, weil die Hoffnung groß ist, dass sich unter Biden an der Migrationspolitik der USA etwas ändern wird. Teilen Sie diese Hoffnung?

Ja, ich bin optimistisch, dass sich die US-Politik ändern wird. Natürlich wird es keine Politik der offenen Tür geben, aber die Menschenrechte werden wieder akzeptiert und geachtet werden, so hoffe ich. Allerdings müssen wir hier in Mittelamerika auch unsere Hausaufgaben machen. Unsere von Rassismus, Korruption und Ungleichheit geprägten Gesellschaften generieren Migration und das muss sich ändern. Da hoffe ich auf neue Parameter in der Kooperation mit den USA: Korruptionsbekämpfung sollte eine zentrale Kondition sein. Ich hoffe darauf, dass Joe Biden die Korruptionsbekämpfung in Mittelamerika ganz oben auf seine Agenda für die Region setzt.

In El Salvador, in Honduras , in Nicaragua stehen Wahlen an - könnte sich eine potenzielle Neuorientierung der US-Politik da schon bemerkbar machen?

Ja, das ist möglich, aber noch wichtiger wäre es, eine gemeinsame Vision für die Zukunft der Region zu entwickeln. Da gehört auch Mexiko dazu, denn wir alle leiden unter den gleichen Problemen und brauchen einen Neuanfang.

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