- Politik
- Bihać
»Wir können das doch nicht alleine tragen«
Der Bürgermeister von Bihać, Šuhret Fazlić, macht der EU, der Internationalen Organisation für Migration und Kroatien schwere Vorwürfe
Ihre Stadt Bihac ist zum Hotspot der europäischen Migrationspolitik geworden. Spätestens seit dem Brand im Lager Lipa sind Hunderte Menschen obdachlos. Wie konnte die Lage so eskalieren?
Die Krise begann in unserer Stadt bereits im Jahr 2018. Seitdem kommen Hunderte Geflüchtete hierhin. Seitdem müssen wir damit umgehen - und zwar alleine. Es gab kaum Hilfe von der regionalen oder der bosnisch-herzegowinischen Regierung.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat geholfen. Doch die befand das Camp Lipa nicht für winterfest, wollte die Menschen in einem leer stehenden Camp in der Innenstadt unterbringen.
Am 23. Dezember hat die IOM Lipa verlassen. Sie haben davor Druck auf uns ausgeübt, das Camp Birra erneut zu öffnen. Doch wir können die Menschen nicht alle in der Innenstadt aufnehmen, das schaffen wir nicht. Es gibt hier ja bereits mehrere Unterbringungen. Deshalb haben wir 25 Kilometer außerhalb das Lager Lipa hergerichtet. Die Stadt Bihać hat dafür 400 000 Konvertible Mark (205 000 Euro) ausgegeben. Die IOM hat das Lager dann einfach geschlossen. Am selben Tag brannte das Lager und die ganze Welt schaute auf uns. Aber die Migration haben wir schon so lange hier. Und die aktuelle Krise hat die IOM verursacht.
Warum können die Menschen denn nicht in der Innenstadt untergebracht werden?
Es sind zu viele. 1000 Menschen mehr in einer Stadt mit 60 000 Einwohnern, wie soll das gehen?Im Krieg wurde Bihać 1000 Tage belagert. Wir haben hier so viel Empathie für die Situation dieser Menschen. Aber wir können das doch nicht alleine tragen. Wir dachten, mit Lipa wäre das Problem gelöst. Die IOM und die Europäische Kommission wollten das Lager aber bloß als Übergangslösung. Es gab schwere Missverständnisse.
Alleine aufgrund der geografischen Lage werden die Menschen weiter nach Bihać kommen. Wie sieht Ihre Lösung aus?
Wir wissen, dass die Menschen in die Europäische Union wollen. Wir wissen, dass Bihać der Ort ist, von dem man dorthin aufbrechen kann. Wir sind bereit, die Menschen hier menschenwürdig unterzubringen. Aber doch nicht alleine! Bihać hat nicht einen einzigen Euro von der Europäischen Union erhalten. Fürs Erste wird ein Teil des Lagers nun von den bosnischen Behörden betrieben. Wir müssen den zerstörten Teil wieder aufbauen, das ist in sieben Tagen schaffbar. Dann müssen wir die Belastung der Migration gemeinsam unter uns aufteilen. Innerhalb Bosniens, aber auch mit den Nachbarländern.
Einige Hilfsorganisationen kritisieren, dass die bosnische Polizei ihnen das Leben schwer macht, sie zum Beispiel daran hindert, Kleidung zu verteilen. Man könnte meinen, man will es hier möglichst ungemütlich machen.
Das ist nicht meine Verantwortung. Aber natürlich kommen momentan sehr viele Organisationen hierhin, viele unangemeldet und nicht registriert.
Die Registrierung wird ihnen sehr schwer gemacht.
Das liegt nicht in meiner Zuständigkeit.
Die Menschen, die sich aus Bihać auf den Weg in die EU machen, landen immer wieder bei Ihnen. Die kroatische Polizei schiebt sie gewaltsam zurück.
Ich habe solche Rückführungen mehrmals erlebt. Einmal habe ich beim Jagen sogar kroatische Polizisten getroffen, die verhindern wollten, dass Migranten zu ihnen kommen. Tief in den Wäldern und auf bosnischem Territorium.
Das ist doch das Gegenteil der europäischen Werte. Die schlagen die Menschen, nehmen ihnen Kleidung und Handy ab und führen sie ohne Prozess zurück.
Im Jahr 2019 wurde ein Teil einer afrikanischen Tennismannschaft in unsere Nachbarstadt abgeschoben. Die Sportler waren bei einem Turnier in der kroatischen Stadt Pula. Als sie ihren Flieger zurück nach Nigeria nehmen wollten, wurden sie von der kroatischen Polizei aufgegriffen und dann nach Bosnien gebracht. Das ist doch Wahnsinn!
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!
In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!