Spaßbefreit bis zum Herbst

Keine Großevents und Kongresse - erfolgsverwöhnte Tourismusbranche am Limit

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn es um bestmögliche Außenwirkung der Tourismusmetropole Berlin geht, dann stehen dafür Bilder von der alljährlichen Silvesterparty am Brandenburger Tor oder auch von der seit 2006 regelmäßig veranstalteten Fanmeile auf der Straße des 17. Juni. Darauf verwies SPD-Fraktionsmitglied Frank Jahnke am Montag im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. Doch davon könne die Hauptstadt aktuell angesichts der »Sondersituation Corona« nicht zehren. »Die meisten Großveranstaltungen, die schon 2020 abgesagt wurden, finden auch 2021 - zumindest im 1. Halbjahr - nicht statt«, sagte Jahnke in einer Anhörung, die sich mit der Bedeutung von Großveranstaltungen für Wirtschaft und Handel in Berlin und der Region befasste.

Abgesagt werden musste auch der diesjährige Christopher Street Day (CSD) mit seiner bunten Lebensfreude und mit all den weiteren Veranstaltungen in Pride-Monat Juli, wie Ralph Ehrlich vom Vereinsvorstand des Berliner CSD betonte. Der Stadt entgingen dadurch viele Tausend häufig zahlungskräftige Besucher aus aller Welt, die sonst viel Geld in den Szeneläden und -locations lassen. Der CSD sei längst ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor. Geplant ist einstweilen ein digitaler CSD am 24. Juli.

Allenfalls bei kleineren, dezentralen Events wie der Fête de la Musique werde an Varianten unter Hygieneauflagen gearbeitet, heißt es. Weil die Masse der Kultur- und Sport-Highlights, vom Rockkonzert bis zum Berlin-Marathon, gecancelt sind, ist die Stimmung depressiv. Erst letzte Woche beschloss der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, aufgrund der Corona-Pandemie im Frühjahr und Sommer 2021 keine Großveranstaltungen oder Feste im öffentlichen Straßenland oder in Grünanlagen zu genehmigen. Dies betreffe neben dem Karneval der Kulturen auch das MyFest und das LesBiSchwule Parkfest.

Wenn es auf dem derzeitigen Höhepunkt des Lockdowns überhaupt eine tröstliche Kunde für die Event- und Kongressbranche, für Tourismuswirtschaft, Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel gab, dann die, dass der Berliner »Runde Tisch Tourismus« unbeirrt an Konzepten für den Ausstieg aus der Coronakrise und für die Zeit danach arbeite.

»Die Wirtschaft der Stadt hat sich ganz maßgeblich über den Tourismus repariert«, erinnerte Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg mit Blick auf die mühseligen 1990er Jahre. Erst mit dem 2004 ins Leben gerufenen »Runden Tisch Tourismus« sei die Offensive zur Einwerbung von Besuchern für Handel, Gastronomie und Hotellerie in Schwung gekommen. 2019 habe der Tourismusanteil am Einzelhandelsumsatz von 18,8 Milliarden Euro in Berlin 4,9 Milliarden Euro betragen. Mehr als ein Viertel aller Handelsumsätze über alle Branchen habe die Berliner Wirtschaft über ihre Gäste eingenommen. Die Hauptstadt brauche touristische Großveranstaltungen mit Ausstrahlung und zugleich urbane Lebensqualität, um zu funktionieren und für Gäste attraktiv zu bleiben. Dafür sei jetzt dringende Hilfe seitens der Politik nötig. Was man nämlich bereits erlebe, seien Insolvenzen und Schließungen von Geschäften, Lokalen und Hotels, die nach drei Monaten Shutdown aufgeben. Der Handel werde nach Corona eine Phase der Restrukturierung und des Wiederaufbaus ebenso brauchen wie Strukturkonzepte und Softwarelösungen, um sich gegen künftige Krisen zu wappnen.

Bei Kongressen und Großveranstaltungen erlebe man angesichts der coronabedingten Flaute einen Trend zu hybriden Veranstaltungen, sagte Willy E. Kausch, Chef der K.I.T. Group. Zwar sei das bei der Berliner Silvesterparty am Brandenburger Tor, die seit Jahren 300 bis 400 Millionen Zuschauer weltweit für Berlin begeistert habe, nicht aufgegangen. »Der Effekt für Berlin war gleich null«, so der Agenturchef. Doch bei Kongressen liege der Hybridanteil international bereits bei 30 bis 40 Prozent. Darauf muss sich die Kongress- und Tagungsstadt Berlin, lange Zeit die Nummer drei weltweit, langfristig einstellen und ihre Defizite endlich angehen. Großkongresse mit bis zu 35 000 Teilnehmern hätten Berlin bereits vor Corona überfordert, die zehn größten Fachkongresse Europas kämen schon seit Jahren nicht mehr in die Stadt. 4000 aller Kongresse, Tagungen und Kongresse mit über 1000 Teilnehmern seien noch nie hier gewesen. Der Markt sei riesig, um den Berlin nun werben müsse. Die Stadt brauche dafür dringend ein echtes Kongresszentrum, ein umgebautes ICC und/oder einen Neubau »auf der grünen Wiese«.

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