Geld verloren, Respekt gewonnen

Die Handball-WM hat Gastgeber Ägypten viel gebracht, auch wenn das eigentliche Ziel Corona zum Opfer fiel

  • Michael Wilkening, Kairo
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Flughafen in Kairo wird schnell ersichtlich, dass die Weltmeisterschaft der Handballer bereits angefangen hat, beendet zu sein. Am kommenden Sonntag wird in der kolossalen Kairo-Arena, in der theoretisch mehr als 16 000 Menschen einem Handballspiel zuschauen könnten, der neue Titelträger ermittelt. Am Mittwochabend (nach Redaktionsschluss) wurden die Viertelfinals ausgetragen, auch Ausrichter Ägypten hatte die Chance, das Halbfinale zu erreichen. In der K.o.-Runde nimmt die WM noch einmal Fahrt auf, von jetzt an werden normalerweise die dramatischsten Bilder der Veranstaltung produziert.

Am Flughafen machen sich aktuell aber alle jene auf den Heimweg, die bei dem Turnier ihre Ziele nicht erreicht haben. Die deutschen Handballer flogen Dienstagmittag in einer Charter-Maschine heimwärts, in einem Linienflug folgten Dienstagnacht Portugal und Brasilien. Allen Teams wurde vor dem Abheben von ägyptischem Boden gewahr, mit welcher Akribie und welchem Aufwand der WM-Gastgeber das letzte Geleit bei diesem Turnier organisierte. Bis zum Gate wurden Spieler und Offizielle der bereits ausgeschiedenen Teams geleitet, bis zum Betreten des Fliegers, so scheint es, wollen die Organisatoren dieser WM zeigen, dass sie sich perfekt um ihre Gäste kümmern.

»Die Ägypter machen alles möglich, sie sind unheimlich motiviert und engagiert«, sagte Bob Hanning. Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes ist angetan vom Fleiß der Mitarbeiter des Organisationskomitees. In Europa und besonders in Deutschland war den Nordafrikanern nicht zugetraut worden, eine WM mit 32 Mannschaften aus aller Welt inmitten einer Pandemie durchführen zu können. Wenige Tage vor dem Endspiel ist klar geworden: Die Ägypter sind sehr wohl dazu in der Lage.

»Das ist für das Land ein gewaltiges Prestigeobjekt«, sagt der in Kairo lebende politische Korrespondent Johannes Sadek. Er weiß darum, dass die Planung und die Organisation von Veranstaltungen am Nil nicht in allen Punkten den Standards gleichen, die in Deutschland gelten. Aber mit Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft sind die Ägypter in der Lage, Lösungen zu finden. So war es auch in den zurückliegenden zwei Wochen der Weltmeisterschaft und so wird es in den noch anstehenden Tagen auch bleiben.

Die Ägypter haben der Handballwelt gezeigt, dass das Chaos ein Teil des Alltags ist - aber sie haben auch unter Beweis gestellt, dass Chaos nicht mit Scheitern gleichzusetzen ist. Seit ein paar Tagen wird nicht mehr über das Hygienekonzept oder positive Coronatests in der sogenannten Blase gesprochen, die um vier Mannschaftshotels und die vier Spielstätten gezogen worden ist. Ägypten hat bewiesen, dass es eine sichere Blase erschaffen kann - und deshalb hat es sich Respekt weit über die Grenzen der Sportart hinaus erarbeitet.

Das Prestigeprojekt hat sowohl das Organisationskomitee der Weltmeisterschaft wie auch die ägyptische Regierung viel mehr Geld gekostet als ursprünglich eingeplant worden war. Durch den Wegfall der Ticketeinnahmen und den immens gestiegenen Aufwand wegen der Notwendigkeit, mit einem teuren Hygienekonzept sicherzustellen, dass die WM trotz der Corona-Pandemie ausgetragen werden kann, wird ein dickes Minus hängenbleiben. An eine Absage der WM wurde trotzdem nie gedacht.

Ein Fehlbetrag, wenngleich ein deutlich geringerer, war ohnehin eingeplant. Schließlich sollte die WM dem Prestige und der Werbung für den Tourismus dienen. Die Handball-WM sollte die Fans an den Nil locken, wo in den Arenen Sport vor großen Kulissen und abseits der Hallen die Pyramiden sowie die Sphinx für Begeisterung sorgen sollten. Dieser Plan ist gescheitert: das Virus hat die Planungen zunächst erschwert und den Besuch von Zuschauern aus dem In- und Ausland letztlich unmöglich gemacht. Aus dem riesigen unbeschwerten Fest ist aber immerhin ein gewaltiger Beleg dafür geworden, dass sportliche Großereignisse in der Coronazeit in Nordafrika möglich sind.

»Ägypten hat gezeigt, dass es dieses Event organisieren kann«, sagt Hassan Moustafa. Für den mächtigen Präsidenten des Welthandballverbandes (IHF) sollte das Turnier im Schatten der Pyramiden von Gizeh eine Art Geschenk an sich selbst und eines an seine Landsleute sein. Der Plan ging nicht auf, denn es gab keine bunten Bilder, es gab keine stimmungsvolle Atmosphäre in den Arenen - die Pandemie durchkreuzte die Hoffnungen Moustafas und seiner Mitstreiter.

Der Ägypter wird bei der Abschiedsfeier am Sonntag nicht - wie er es bei den Weltmeisterschaften zuvor so oft getan hat - von der »besten WM aller Zeiten« sprechen. Dazu war das Turnier in Ägypten zu speziell. Aber Moustafa wird sagen können: »Wir haben gezeigt, dass wir es können.« Angesichts der Voraussetzungen und der in Europa geführten Debatte vor dem WM-Start ist diese Einsicht vielleicht sogar mehr wert als bunte Bilder, die den Tourismus nur kurzfristig hätten ankurbeln können.

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